Folge #9
Ohne Haare zur Beauty-Influencerin
Der Coming of Age-Podcast der IKK classic.
paula.plsi ist ein Social Media Star. Ihr folgen 1,7 Millionen Menschen auf TikTok und fast 34.000 auf Instagram. Sie macht Beauty und Lifestyle. Eine Schönheit – wie so viele andere? Nicht ganz. Paula hat aufgrund einer Autoimmunerkrankung keine Haare mehr am Körper. Wie das mit ihrem Erfolg zusammengeht? Das ergründet Vivi in der aktuellen Folge.
Social Media ist auf dem Vormarsch. Wie weit die Netzwerke in unseren Alltag eingedrungen sind, zeigt der aktuelle Digital-Report von Hootsuite und We Are Social: 72,6 Millionen Menschen (86,5 Prozent) in Deutschland nutzen die Sozialen Netzwerke, zehn Prozent mehr als im Vorjahr (2021). Der User hat im Schnitt fünf verschiedene Accounts, die regelmäßig aufgerufen werden. Die tägliche Nutzungszeit ist im Vorjahresvergleich leicht gestiegen und liegt jetzt bei knapp eineinhalb Stunden.
Dabei ist es unstrittig, dass Instagram, TikTok und Co. einen gewaltigen Druck auf junge Menschen – vor allem auf junge Mädchen – ausüben, weil jeder Mensch ja gerne gut aussehen würde, gerne tanzen könnte, locker, reich und hipp sein möchte. Die Bilder der unerreichbaren „Konkurrenz“ sind ja selbst für Erwachsene nicht immer leicht zu ertragen, für Jugendliche erst recht nicht. Immer mehr Menschen fühlen sich unzufrieden mit ihrem Körper. Häufige Folgen: Essstörungen, Minderwertigkeitsgefühle bis hin zu Depressionen.
Wenn ihr hier nochmal tiefer einsteigen möchtet, dann hört euch doch Folge 3 unseres Podcasts an. Cleo Wichelhaus spricht mit Vivi radikal offen über ihren Weg aus der Bulimie und warum sie mit 12 Jahren angefangen hat, sich nach dem Essen zu übergeben. Aber zurück zu Paula.
Schon als junges Mädchen hatte Paula Spaß daran, mit Freundinnen und Freunden Filme zu drehen und sie im Netz hochzuladen. „Am Anfang habe ich einfach gepostet, was ich gerade gemacht habe, also meistens Trends“, sagt sie. Beauty und Lifestyle hat sie vor zweieinhalb Jahren für sich entdeckt. „Und irgendwann sind immer mehr Leute auf mich aufmerksam geworden und sind immer mehr Leute dazugekommen und dann hat es sich zu dem entwickelt, was es heute ist.“
Dabei war dieser Weg sicherlich nicht vorgezeichnet, denn Paula hat keine Haare mehr. Nicht auf dem Kopf, nicht am Körper, keine Augenbrauen. Begonnen hat es in der Grundschule. Alopecia areata heißt die Erkrankung, auch als kreisrunder Haarausfall bekannt. Es ist eine Autoimmunerkrankung, bei der der Körper die eigenen Haarwurzeln bekämpft. „Es passiert sonst überhaupt nichts. Es hat nichts Negatives, außer eben, dass dir die Haare ausfallen. Und es kann sein, dass deine Nägel rissig und rötlich werden.“
Paula ist 20 Jahre alt, sie kommt aus Österreich, genauer aus Graz. Man könnte sagen, sie ist Creatorin, Influencerin. Aber Social Media Star trifft es inzwischen wohl besser. 1,7 Millionen folgen ihr auf TikTok, knapp 34.000 auf Instagram. Ihr Metier? Beauty und Lifestyle.
Nicht zu 100% naheliegend, denn seit ihrem neunten Lebensjahr fallen ihre Haare aus. Erst am Kopf, dann am Körper. Inzwischen hat sie nirgendwo am Körper Haare. Zunächst hat sie versucht, ihre Glatze zu verstecken. Unter Bandanas, sie hat mit Perücken experimentiert.
Heute steht sie zu ihrer Glatze und sieht sie nicht länger als Schönheitsmakel. Vor einem Millionenpublikum spricht sie offen über ihre Krankheit, über Schönheitsideale und Make-up.
Obwohl Paula mittlerweile ausgewählte, aber durchaus lukrative Kooperationen an Land zieht, ist Social Media weiterhin vor allem eines: ihre große Leidenschaft. „Es wird immer auch mein Hobby bleiben, da ich sehr viel Spaß daran habe, Videos zu drehen und sie anschließend zu posten.“
Sich selbst mit dieser Erkrankung zu akzeptieren, war nicht einfach, sagt Paula. „Ich war neun Jahre alt. Da ist das nicht so einfach. Vor allem nicht, wenn man in eine Schule geht, in einer Klasse sitzt und dann passiert es auf einmal.“ Geholfen hat ihr der offensive Umgang mit der Erkrankung. Auf die Mitschüler zuzugehen und das Krankheitsbild erklären. Das hat zu sehr vielen positiven Reaktionen geführt. Und diese Reaktionen haben ihr geholfen, sich selbst zu akzeptieren. Doch auch das war nicht immer einfach.
„Bei mir war es der Weg, einfach zu sehen, dass ich nichts an meiner Krankheit oder meinem Haarverlust ändern kann. Dann musste ich damit klarkommen. Und entweder ich komm damit klar oder ich werde mein Leben lang traurig sein und mich hassen.“ Klingt nach einer simplen Entscheidung, doch das ging nicht so einfach wie Licht ein- und ausschalten. Es war ein langer Weg mit Übungen zur Achtsamkeit. „Man kann Tag für Tag ein paar Übungen machen, sich im Spiegel anschauen und zu sich sagen: ‚Hey, du bist schön so, wie du bist und du bist perfekt, so wie du bist‘. Und es ist schön, dass du anders bist – denn jeder ist anders.“
Zunächst versuchte Paula, ihre Glatze unter einem Kopftuch, einer Bandana zu verstecken. Mit Kopftuch hat sie auch ihre persönliche Make-up-Routine mit ihrer Community geteilt – und sensationell viele positive Rückmeldungen bekommen. Sie hat neue Fans generiert. Ihre Beiträge wurden geteilt. Bis heute kommen die Themen Make-up, Perücken und Selbstbewusstsein am besten bei ihren Followerinnen und Followern an.
Und dann haben die Social Media Plattformen auf einmal eine Dynamik entwickelt, die in den kritischen Studien nicht oft erwähnt wird: positive Verstärkung. Positives Feedback. „Durch Social Media habe ich sehr viel Selbstbewusstsein gewonnen, weil ich einfach so positive Resonanzen bekommen habe, so positive Kommentare, die mich dann glücklich gemacht haben. Ich habe mir gedacht, ich bin gut so, wie ich bin. Denn jeder ist anders und es gibt kein Normal. Und gerade das finde ich auch schön, dass wir alle so divers sind.“