Start-ups im Handwerk: Drei Gründer und ihr Erfolgs­geheimnis Digitalisierung

Redaktion
IKK classic

Die Digitalisierung hat das traditionelle Handwerk erreicht – obwohl beides auf den ersten Blick nicht ganz zueinander passt. Drei Gründer verraten, wie sie ihren klassischen Handwerksberuf mit digitalen Lösungen verbinden: Und das geht weit über Social-Media-Kanäle hinaus.

Was verbindet einen Steinmetz, einen Tischler und einen Optiker? Ihr Handwerk ist uralt – doch die folgenden drei Gründer haben aus ihrem traditionellen Handwerk mit den Mitteln der Digitalisierung hochmoderne und erfolgreiche Unternehmen gemacht. 

Wie sie das geschafft haben und was sie ihren Kolleginnen und Kollegen raten, erzählen sie selbst: Drei Fragen an Denys Nagel, den (Tischler-)Meister der Digitalisierung, den Virtual-Reality-Optiker Arne Engler und Alexander Handel, der ein Fashion-Label für Grabsteine gegründet hat.

Wie digital ist das Handwerk?

Ob 3D-Druck, Social Media oder computerbasierte Fertigungsprozesse: Möglichkeiten gibt es viele – doch werden sie auch umgesetzt? Eine Studie im Auftrag des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks und Bitkom verrät: Es gibt Luft nach oben.

Zur Studie
  • 97% der befragten Handwerksbetriebe haben eine eigene Homepage

  • 54% glauben, die Digitalisierung sichere die Existenz ihres Unternehmens

  • 43% der Unternehmen haben durch Digitalisierung neue Kunden gewonnen

  • 30% der Betriebe setzen auf die Werbe- und Aussagekraft von Social Media

  • 27% der Unternehmen nutzen eine Cloud als IT-Infrastruktur

Drei Gründer – Drei Ideen – Drei Fragen

Wir haben uns mit drei Gründern unterhalten, die ihre Start-ups im Handwerk mithilfe unterschiedlicher digitaler Innovationen zu erfolgreichen Unternehmen gemacht haben. Sie alle bieten Inspiration für Handwerker, die sich digital weiterentwickeln wollen. 

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"Holzconnection": Möbel nach Maß – und Computerprogramm

Wie sehen Möbel aus, die sowohl handgefertigt als auch mithilfe digitaler Computertechnik entstehen? Die Antwort auf diese Frage liefert Denys Nagel (34) aus Berlin. Seit 2017 leitet er die Tischlerei seines Vaters. "Holzconnection" ist inzwischen mehr als ein traditionelles Handwerksunternehmen: Denys Nagel und sein Team fertigen Holzmöbel nach Maß, die teils durch klassisches Tischlereihandwerk, teils durch computergesteuerte Produktionsprozesse entstehen. Kunden können ihre Wunschmöbel von Zuhause aus im Webshop gestalten und sich persönlich, am Telefon oder online beraten lassen. Inspirationen gibt es auf Instagram. Tischlerei 2.0 nennt Denys sein Geschäft.

Bei Holzconnectionen können Möbel nach Maß direkt online entworfen werden.

Drei Fragen an Denys Nagel

  • Wie vereint "Holzconnection" klassisches Handwerk und Digitalisierung?

    Wir setzen im ersten Schritt auf qualitativ hochwertiges und handgefertigtes Holzmaterial. Für die Produktion verwenden wir jedoch eine Kombination aus erfahrenen Handwerkerhänden und hochmodernen CNC-Maschinen. Wir bieten unseren Kundinnen und Kunden bei "Holzconnection" einen umfangreichen Onlineshop an, wo sie ihre Traummöbel direkt konfigurieren können. Mithilfe eines speziellen Programms können wir beim Kunden zuhause in wenigen Minuten die Maße einer Wohnung scannen und damit eine fotorealistische 3D-Simulation der neuen Möbel erstellen. Die gibt's dann aufs Handy geschickt.

  • Worin bestehen die größten Schwierigkeiten bei der Gründung eines Start-ups?

    Es gibt so viele gute Ideen, doch nur wenige davon schaffen den Sprung zur Gründung eines guten Unternehmens. In einer Zeit, wo Innovation an der Tagesordnung zu sein scheint, ist die größte Schwierigkeit, sich von der Konkurrenz abzuheben. Kundinnen und Kunden müssen sich von einem Unternehmen abgeholt fühlen. Bei "Holzconnection" haben wir diesen Zugang über Social Media gefunden. Wir kommunizieren auf Augenhöhe und bemühen uns, auf die Wünsche und Bedürfnisse unserer Kundinnen und Kunden einzugehen. Das war auch für uns nicht immer einfach und ist ein ständiger Lernprozess.

  • Was würdest du Kollegen mit dem Traum vom Start-up raten?

    Man muss bereit sein, eher ungewöhnliche Wege zu gehen. Auch "Holzconnection" und die ersten Schritte in Richtung Digitalisierung liefen nicht von Anfang an nach Plan, aber wir haben stets die Freude am Experimentieren behalten. Versucht, offen und mutig für Neues zu sein, auch wenn die aktuelle Situation es gar nicht herzugeben scheint.

    Die Corona-Krise 2020 hat uns bei "Holzconnection" außerdem deutlich gezeigt, dass es richtig war, auf Digitalisierung zu setzen. Das hat es uns ermöglicht, zeitnah auf die neuen, unvorhersehbaren Umstände zu reagieren. Wir haben die Option einer Online-Beratung quasi über Nacht aus dem Boden gestampft als klar wurde, dass Kundinnen und Kunden nicht mehr physisch unsere "Holzconnection"-Stores besuchen können. Flexibilität ist hier das Stichwort. Unternehmen aus der Handwerksbranche müssen sich früher oder später mit der digitalen Transformation auseinandersetzen, um zu überleben.

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Arne Engler: Optiker zwischen Tradition und Moderne

Arne Engler (32) ist Augenoptiker in vierter Generation, nachdem sein Urgroßvater das Handwerk 1927 zum Beruf machte. Mit fast 100-jähriger Familientradition im Rücken hat der Unternehmer den Sprung ins Jetzt geschafft. Zwar führt Arne Engler mit "Optik Planet" im bayrischen Zolling ein klassisches Brillengeschäft. Das hält ihn aber nicht davon ab, sich selbst und seine Branche weiterzuentwickeln.

Augenoptiker Arne Engler hat schon mehrere Digital-Projekte gestartet.

Drei Fragen an Arne Engler

Der Diplom-Ingenieur (FH) verbindet sein Handwerk mit digitalen Lösungen: zum einen mit seinem Start-up "VR Optiker", das Linsen-Einsätze mit Sehstärke für Virtual-Reality-Brillen mittels 3D-Drucker produziert. Zum anderen startet gerade die von ihm gegründete Plattform "Online Optiker" durch. 

Dort können Kunden aus zahlreichen Brillengestellen ihren Favoriten aussuchen und sehen, welcher traditionelle Augenoptiker das Modell verkauft. Der Vorteil: Auf das Aussuchen folgt eine persönliche Beratung im Laden. Für beide Projekte erhielt Arne Engler 2019 den Bayerischen Staatspreis im Bereich Technik.


  • Handwerk in Zeiten von Massenproduktion: Vor welchen Herausforderungen steht ein Optiker?

    Momentan wird die Situation für viele mittelständische Augenoptiker schwieriger, da sich gerade viele jüngere Kunden nicht mehr mit traditionellem Handwerk identifizieren. Die Gründe hierfür sind vielfältig, aber in erster Linie heften kleineren Optikern zwei Vorurteile an: Kunden befürchten höhere Preise und eine Art Kaufzwang nach der Beratung. Beides ist natürlich Blödsinn.

    Zur Gründung habe ich mich entschlossen, meinen eigenen Laden unter dem Namen "Optik Planet" zu eröffnen. Nach außen vermittelt das Geschäft den Anschein einer Kette. Das senkt vor allem für junge Kunden die Hemmschwelle. Wenn diese dann merken, wie unkompliziert alles abläuft und dass wir eigentlich ein inhabergeführtes Geschäft sind, in dem aber weder gekauft werden muss, noch überteuerte Produkte angeboten werden, sind alle zufrieden mit der Situation.

  • Wie bleibst du konkurrenzfähig?

    Mit Blick auf das klassische Handwerk in meinem Laden bleibe ich konkurrenzfähig, indem ich meinem Konzept treu bleibe und gute Arbeit mache. Das funktioniert, wenn Preis/Leistung aus Sicht des Kunden stimmt.

    Gleichzeitig investiere ich in die Zukunft meiner Branche. "Online Optiker" ist ein Projekt, mit dem wir den mittelständischen Augenoptiker – so wie ich es bin – unterstützen wollen. Es ist sozusagen ein Online-Schaufenster, denn die kostenlose Plattform verkauft selbst keine Brillen. Es findet kein Preiskampf statt: Die Kunden können Brillenmodelle auswählen, die ihnen gefallen, und erfahren dann, wo es diese zu kaufen gibt. So kommen Kunden in Geschäfte, die sie sonst vielleicht nicht betreten hätten. Unser Ziel ist es, möglichst viele Augenoptiker für diese Idee zu begeistern, damit auch die Industrie einsteigt. Jeder mittelständische Augenoptiker kann sich kostenfrei anmelden.

  • Was würdest du Kollegen mit dem Traum vom Start-up raten?

    Ich denke, der Bedarf nach inhabergeführten Geschäften mit hohen Qualifikationen und Fähigkeiten wird trotz diverser Optiker-Ketten und Online-Shops immer da sein. Trotzdem: Die Aussage "selbst und ständig" stimmt. Wer ein Start-up gründet, buttert erst einmal endlos Zeit und Arbeit rein. Man sollte sich selbst und die Situation deswegen genau einschätzen. Ist man bereit, drei Jahre lang kaum etwas zu verdienen, dafür aber 70 Stunden die Woche zu arbeiten und viele Rückschläge zu verdauen? Wer glaubt, dass Geschäftsinhaber vom Start weg gut verdienen, der irrt sich.

Startscreen des Videos zur Entgeltfortzahlung
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Wissen für Macher

Ist eine Krankmeldung per SMS gültig? Wie geht man mit Beschäftigungsverboten um und was bedeutet Gefährdungsbeurteilung? IKK classic Sozialversicherungsexperte Stefan Jung erklärt, was Betriebe in Sachen Entgeltfortzahlung, Mutterschaft und Ausgleichskasse beachten sollten.

"Rokstyle": Das Grabstein-Fashion-Label von Alexander Hanel

Alexander Hanel wird auf der Homepage von "Rokstyle" als "unabhängiger Friedhofsexperte" vorgestellt und hat besonders viel Freude an seinem Spitznamen in der Presse: Karl Lagerfeld des Friedhofs. Der Unternehmer aus Franken hat "Rokstyle" – das selbsternannte Fashionlabel für Grabsteine – 2013 innerhalb des Familienunternehmens gegründet und 2020 damit zum dritten Mal den "German Design Award" gewonnen.

Alexander Hanel gewinnt dem German Design Award.

Drei Fragen an Alexander Hanel

Fashionlabel für Grabsteine klingt im ersten Moment vielleicht pietätlos. Der Titel hat aber Sinn: "Rokstyle" fertigt Grabsteine, die so ungewöhnlich und aufwändig entworfen sind wie Designermode. Auf der Homepage können Kunden mithilfe eines Online-Grabsteindesigners ihr Wunschmodell in Form, Farbe und Verzierung selbst gestalten. Aber wie kommt man auf die Idee, Grabsteine als cool, stylish und trendy zu verkaufen?  

  • Fashionlabel für Grabsteine klingt ungewöhnlich. Wie bist du auf diese Idee gekommen?

    Das Thema Friedhof und Grabsteine war – vor allem, bevor es "Rokstyle" gegeben hat – oft negativ in der Öffentlichkeit vertreten. Es wurde über vermeintliche Kinderarbeit an Grabsteinen, über deutliche Gebührenerhöhungen und über Leerstand am Friedhof berichtet. Daher wollte ich mit positiver Haltung dagegen angehen. Es war aber ein Regelbruch, also ein Tabubruch notwendig, um neue Diskussionen zu ermöglichen. Nachdem ich dann ein Forschungsprojekt mit der Hochschule Ansbach durchgeführt hatte, das ergab, dass personenbezogene, individuelle Grabsteine der richtige Weg sind, war mir klar: Diesen außergewöhnlichen Weg möchte ich gehen.  

  • Wie reagieren deine Kunden auf den Online-Grabsteindesigner?

    Der Grabsteindesigner wird fleißig genutzt – vor allem wegen den Möglichkeiten der Gestaltung. Für Hinterbliebene ist der Grabstein die letzte Möglichkeit, Liebe, Respekt und Anerkennung auszudrücken. Dass ein guter Grabstein Trost spenden kann, ist durch entsprechende Forschungsprojekte belegt. Trauerrituale wie das Aufstellen eines Grabsteins gibt es seit Jahrhunderten, das hat weltweit eine lange Historie und sich entsprechend bewährt.

  • Was würdest du Kollegen mit dem Traum vom Start-up raten?

    Keine zögerlichen Entscheidungen treffen – einfach machen. Trifft man auch mal eine falsche Entscheidung, kann man daraus lernen. Daher raus aus der Komfortzone und loslegen! Man darf sich nicht beirren lassen, selbst wenn man polarisiert.

    Bei "Rokstyle" wird unser Mut, neue Wege zu gehen, mit Erfolg belohnt: Im Moment vertreiben circa 600 Händler in ganz Europa unsere Grabsteine. Somit ist aus einer, sagen wir, anfangs exotischen Idee eine unvergleichbare Marke geworden. Daher freut es mich sehr, einen guten Beitrag für ein moderneres Friedhofsbild geleistet zu haben.

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IKK classic

Veröffentlicht am 06.11.2020

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