Sind Menschen durch das breite Diagnostik-Angebot heutzutage eher verunsichert als früher?
KH: Ja, denn je mehr Angebote es gibt, desto höher ist der Druck, sie auch zu nutzen. Gerade jetzt, seit der NIPT eine Kassenleistung ist.
AS: Der NIPT ist nur eine Methodik, die auch auf viele andere genetische Veränderungen angewendet werden kann. Man kann nach Trisomien auf den Chromosomen 21, 18 und 13 suchen, aber auch an anderen Stellen im Erbgut. Kommerziell bieten das Laborbetreiber schon an. Die Verunsicherung nimmt ganz klar zu. Hinzu kommt: Je seltener die genetische Erkrankung, nach der gesucht wird, desto häufiger kommt es zu falsch-auffälligen Ergebnissen.
Welche Fragen sollten sich Schwangere und werdende Eltern stellen, wenn sie darüber nachdenken, eine Pränataldiagnostik machen zu lassen, Frau Hellwig?
KH: Den Paaren, die ein Kind erwarten, geht es vor allem um Gefühle von Beruhigung und Sicherheit. Sie machen einen NIPT oder andere vorgeburtliche Untersuchungen wie das Ersttrimester-Screening, um zu erfahren: Mit unserem ungeborenen Kind ist alles in Ordnung.
Doch wenn man diese Tests in Anspruch nimmt, muss man sich bewusst machen, dass es auch ein auffälliges Ergebnis geben kann. Dadurch müssen dann weitere – zuverlässige invasive – Diagnoseverfahren in Anspruch genommen werden.
Werdende Eltern müssen sich klar machen, dass sie sich bei bestimmten Ergebnissen womöglich die Frage stellen werden, ob sie das Kind überhaupt noch bekommen möchten. Das ist auf der emotionalen Ebene extrem schwer zu verarbeiten.
Eltern sollten sich also auf jeden Fall die Frage stellen, wie sie mit einem eventuellen Ergebnis umgehen. Eltern, für die ein Abbruch nicht in Frage kommt und die gar nicht erst in die Situation kommen möchten, sich damit beschäftigen zu müssen, brauchen auch keine Pränataldiagnostik zu machen. Sie können ihr Recht auf Nichtwissen in Anspruch nehmen.
AS: In der Realität sieht es natürlich anders aus, wenn man mit einer Verdachtsdiagnose konfrontiert ist.
Man muss sich darüber im Klaren sein, dass genetisch gesunde Kinder schon in den ersten beiden Monaten bei der Organanlage in den meisten Fällen unauffällig sind. Im Umkehrschluss fallen genetische Erkrankungen, auch abseits der Trisomien, in der Regel bei einer Ultraschalluntersuchung auf. Wir haben damit durch den Ultraschall eine direkt anwendbare und sehr genaue Methode, um der individuellen Schwangeren gute, präzise Informationen zu liefern.
Bei der Einführung von NIPT als Kassenleistung wurde versäumt, dieses sehr gute Instrument begleitend vorzusehen. Denn damit könnte man der individuellen Schwangeren sagen: Dieses Kind – in diesem Moment, in Ihrem Bauch – ist ganz unauffällig und damit ist Ihr Restrisiko, dass es ein Problem haben könnte, extrem niedrig.
So würde man es Schwangeren viel leichter machen, sich angstreduziert und eigenbestimmt für oder gegen ein Testverfahren zu entscheiden. Das sind die Grundprinzipien, die wir anstreben sollten. Darum empfehle ich ganz klar, keinen NIPT ohne einen begleitenden Ultraschall zu machen.