Petra Lindner* war 29 Jahre alt, als sie einen Hörsturz erlitt. Stress war sie im Großraumbüro einer Agentur gewohnt, doch die Gespräche zwischen den Kollegen störten sie bei ihrer Arbeit als Redakteurin. Deshalb saß sie die meiste Zeit mit Kopfhörern an ihrem Laptop, denn nur mit lautstarker Musik konnte sie sich konzentrieren. Auf einmal wurde es ruhig – nicht in Petras Büro, sondern auf ihrem rechten Ohr, das sich nun wie in Watte gepackt anfühlte. Am selben Tag noch ging sie zum HNO-Arzt. Die Diagnose: Hörsturz.
So wie Petra ergeht es jedes Jahr 150.000 Deutschen pro Jahr. Die Betroffenen leiden unter einem Fiepen, verspüren ein Druckgefühl im Ohr oder hören im schlimmsten Fall gar nichts mehr. Ursache ist in vielen Fällen eine akute Funktionsstörung der Sinneszellen im Ohr (Haarzellen) oder anderer Strukturen des Innenohrs, häufig hervorgerufen durch Lärm.
Hörsturz vermeiden:
Konzerte, Partys, Playlists: Das Leben ist nicht nur schneller und stressiger, sondern auch lauter geworden. Nicht selten führt das zu Schwerhörigkeit, Tinnitus oder Gehörlosigkeit. Mit diesen Maßnahmen können Sie Ihr Gehör im Alltag schützen.
Wie entstehen Hörschäden?
Klicken Sie auf die Buttons, um zu erfahren, was bei Lärm im Ohr passiert.
Schädelknochen
Der Schall erreicht die Hörschnecke direkt über die Schädelknochen.
Hörnerv
Die Haarzellen setzen die aufgenommenen Wellenimpulse an den Hörnerv weiter, der sie an das Stammhirn und andere Teile des Gehirns weitergibt.
Hammer, Amboss und Steigbügel
Diese Schwingungen gibt das Trommelfell an Hammer, Amboss und Steigbügel weiter, die den Luftschall in mechanische Energie umwandeln.
Trommelfell
Der von der Ohrmuschel weitergeleitete Schall versetzt das Trommelfell in Schwingungen.
Hörschnecke
Diese Energie wird an die Hörschnecke weitergegeben. Dort befinden sich die Sinneszellen, die für die Verarbeitung des Schalls verantwortlich sind: die Haarzellen.
Ohrmuschel
Lauter Schall wird von der Hörmuschel des Außenohres aufgefangen, gebündelt und an das Trommelfell im Mittelohr weitergeleitet.
Gesunde Haarzellen
Gesunde Haarzellen stehen aufrecht und können die Impulse somit effektiv verarbeiten.
Geschädigte Haarzellen
Ist das Gehör Lärm ausgesetzt, werden die Haarzellen im Innenohr umgeknickt. Das schädigt das Gehör zwar langsam, aber stetig und dauerhaft.
Schall und Stress
Knalltraumata, exzessives Musikhören, Disco- und Konzertbesuche sowie jahrelanges Arbeiten in lauter Umgebung können das Hörvermögen irreparabel schädigen. Wenn dann noch dauerhafter Stress hinzukommt, sind die Folgen katastrophal: Schwerhörigkeit, Hörsturz, Hörverlust und Tinnitus.
Für eine Behandlung dann meist zu spät. Das weiß auch Donja Stempfle, Autorin des Buchs "Vergiss den Tinnitus: Und Heilung gibt es doch", in dem sie ihren erfolgreichen Kampf gegen das Ohrgeräusch beschreibt.
"Ich erkrankte 2008 an Tinnitus, stand damals beruflich und privat oft unter Stress", erklärt die heute 50-Jährige. "Auf mein Gehör habe ich auch keine Rücksicht genommen, hinzu kam ein ungesunder Lebensstil." Dann ging das Pochen los. "Die Symptome sind immer schlimmer geworden, aber zum Arzt bin ich erst gegangen, als gar nichts mehr ging."
Als dieser bei ihr einen chronischen Tinnitus diagnostizierte, brach für sie eine Welt zusammen: "Es ging mir super schlecht, weil mir kein Arzt helfen konnte. Ich bekam nur zu hören, dass man da nichts machen könne." Aufgeben kam für sie jedoch nicht in Frage.
Es begann eine jahrelange Odyssee von Therapie zu Therapie, von Medikament zu Medikament. Geholfen hat nichts. "Schließlich habe ich mein Leben komplett umgekrempelt, meine Ernährung geändert, das Abschalten gelernt und damit meine Selbstheilungskräfte aktiviert." Heute ist Donja Stempfle zwar immer noch Tinnitus-Patientin, doch das Geräusch ist verschwunden.
Ohrstöpsel als effektiver Schutz gegen Hörsturz
Insbesondere die Lärmbelastung im Alltag wird häufig unterschätzt. Studien haben gezeigt, dass Ohrstöpsel hier einen einfachen, doch effektiven Schutz bieten, indem sie die Schallübertragung auf das Innenohr deutlich reduzieren. Sie dämpfen die Intensität von Umgebungsgeräuschen und minimieren somit das Risiko für akustisch induzierte Verletzungen der Haarzellen.
Herstellerangaben variieren je nach Produkt stark, jedoch lässt sich sagen, dass hochwertige Ohrstöpsel bei korrekter Anwendung den Geräuschpegel im Mittel um die 30 Dezibel senken können. Dies ist besonders relevant in Lärmbereichen wie auf Konzerten, Baustellen oder in der Industrie, wo die Lärmeinwirkung schnell schädliche Ausmaße annehmen kann. Neben herkömmlichen Ohrstöpseln aus Schaumgummi gibt es Varianten aus Wachs, die mit Watte umfasst sind und so schonend für die Haut des Gehörgangs sind.
Sollen nur gewisse hohe oder tiefe Frequenzen ausgeblendet werden, bieten sich mittlerweile breit verfügbare professionellere Formen von Ohrstöpseln an, in die unterschiedlich stark dämpfende, austauschbare Filter eingesetzt werden können. Diese eignen sich insbesondere, wenn etwa die normale Sprechlautstärke von Menschen, die durchschnittlich bei 60 Dezibel liegt, noch durchdringen soll, Sie zeitgleich aber beispielsweise hohe, schädliche Frequenzen von Musik oder Maschinen abschirmen wollen.
Wichtig zu beachten ist jedoch, dass die tatsächliche Dämpfung je nach Tragekomfort und Passform variieren kann.
Vorbeugen am Arbeitsplatz
Wer an einem lauten Arbeitsplatz angestellt ist, sollte sich gegen Hörschäden besonders absichern. Der beste Schutz vor Erkrankungen des Gehörs ist Prävention. Denn schon ein niedriger Lärmpegel im Bereich von 70 dB kann Schlafstörungen verursachen und das Gehör dauerhaft beeinträchtigen. 70 dB, das ist in etwa die Lautstärke eines Staubsaugers.
Deshalb sind Arbeitgeber verpflichtet, ab einem Tages-Lärmexpositionspegel von 85 dB, was der Lautstärke einer Hauptverkehrsstraße entspricht, einen Gehörschutz zur Verfügung zu stellen. Doch auch Sie selbst können Ihren Hörnerv aktiv schonen, um Ohrgeräuschen oder Schwerhörigkeit vorzubeugen.
Sind In-Ear-Kopfhörer schädlich?
In-Ear-Kopfhörer sind aufgrund ihrer praktischen Größe immer beliebter geworden – nicht nur zum Musik hören, sondern auch zum Telefonieren, unterwegs oder bei der Arbeit. Manche verfügen über eine Noise-Cancelling Funktion, bei der Umgebungsgeräusche fast vollständig abgeschirmt werden. Diese Eigenschaften haben jedoch Vor- und Nachteile, die kritisch betrachtet werden sollten.
Die kleinen Ohrhörer sitzen mit ihren Gummiaufsätzen tief im Gehörgang. Der beinahe luftdichte Verschluss und ihre nahe Position direkt vor dem Trommelfell, kann schnell zu hohen Schalldruckpegeln führen. Es ist daher wichtig, hier auf die Lautstärkeregulation zu achten. Experten empfehlen die 60/60-Regel: maximal 60 Prozent der Lautstärke – für maximal 60 Minuten. Eine Noise-Cancelling-Funktion kann hier wiederum einen Vorteil bieten: Durch die vollständige Befreiung vom Lärm der Umwelt fällt es leichter, den Lautstärkepegel nicht auf Anschlag zu drehen.
Ein weiteres Problem bietet jedoch die Verstopfung des Gehörgangs. Normalerweise wird Ohrenschmalz vom äußeren Gehörgangsanteil durch kleine Härchen nach außen transportiert. Wird es nun etwa von einem Kopfhörer zu weit nach innen gedrückt, kann das Ohr sich nicht mehr ausreichend selbst reinigen. Das Ohrenschmalz kann sich am Trommelfell verdichten und eintrocknen und so zu Ohrendruck, Hörminderung, Schmerzen oder sogar Schwindel führen. Langfristig kann die schlechtere Belüftung des Ohres zu Entzündungen mit Folgen wie Hörsturz oder Tinnitus führen.
Daher ist es wichtig, das richtige Maß im Auge zu behalten und Ihrem Gehör gelegentlich eine Pause zu gönnen.
Wenn der Ton bleibt: Leben mit Tinnitus
Auch Bernd Strohschein kennt die Erkrankung mit dem dauerhaften Fiepen: Seit 30 Jahren leidet der 64-Jährige an chronischem Tinnitus, hat die unterschiedlichsten Therapien ausprobiert. Doch helfen konnte er sich schließlich nur selbst. Heute leitet er die Tinnitus Selbsthilfe der Deutschen Tinnitus-Liga (DTL) in München. Er erzählt:
"Es hat schleichend angefangen. Ich habe dem Geräusch nicht viel Bedeutung beigemessen, im Gegenteil. Auf Rockkonzerten stand ich meistens gleich vor den Boxen, bis die Hosen geflattert haben. Mit 18 Jahren habe ich mir außerdem als DJ ein bisschen dazuverdient.
Ende der Achtzigerjahre wurde dann bei mir Tinnitus diagnostiziert. Ich habe daraufhin viele verschiedene Therapien mitgemacht, die heute gar nicht mehr durchgeführt werden. Damals war man noch der Überzeugung, dass der Tinnitus im Ohr stattfindet. Das tut er dort aber nicht, sondern im Gehirn.
Die mögliche Ursache meines Tinnitus kann nicht genau geklärt werden. Es gibt aber drei Faktoren, die ihn generell begünstigen: Hörverlust, Stress und Beschwerden des Bewegungsapparats. Auch ich habe jahrzehntelang versucht, das Geräusch zu bekämpfen, habe alles ausprobiert, was als Heilmittel angepriesen wurde. Heute weiß ich, dass das meiste nur ein Geschäft ist.
Außerdem habe ich gelernt, dass es kein Patentrezept gibt, weil Tinnitus sehr speziell und individuell ist. Geholfen hat mir dabei eine kognitive Verhaltenstherapie, die mich gelehrt hat, wie ich mich effektiv ablenken kann. So ist das Geräusch nicht dauerhaft präsent.
Als Mitglied der DTL kenne ich jetzt die verschiedensten Behandlungsmethoden und kann aufgrund meiner eigenen Erfahrung als Betroffener und als von der DTL geschulter Gruppenleiter anderen Betroffenen helfen. Den Betroffenen in meiner Gruppe sowie auf Vorträgen rate ich zunächst allen: Versuche, runterzukommen, abzuschalten, die Wahrnehmung umzulenken und letztlich, den Tinnitus zu akzeptieren. Das ist immer der erste Schritt zur Besserung und auch Bestandteil der angebotenen Therapien.“