Folge #3
Wenn Essen zur Sucht wird – der steinige Weg aus der Bulimie
Der Coming of Age-Podcast der IKK classic.
Wann wird bewusste Ernährung zur Essstörung? In Podcast-Folge 3 berichtet Cleo Wichelhaus radikal offen über ihren Weg aus der Bulimie und warum sie mit 12 Jahren angefangen hat, sich nach dem Essen zu übergeben.
Achtet ihr auf eure Ernährung? Klar, wer tut das nicht! Man will ja schließlich gesund bleiben. Und fit. Und – um ehrlich zu sein – schlank schon auch. Da kann man dann natürlich nicht alles essen, worauf man Lust hat. Also lassen wir die Kohlenhydrate weg. Und die Schokolade. Keine Cola, dafür Wasser. Dafür machen wir halt mehr Sport, wenn das Essen am Vortag doch zu üppig war. Und überlegen uns schon morgens, was wir den Tag über zu uns nehmen. Und was nicht. Und abends ziehen wir dann vor dem Einschlafen die Kalorien-Bilanz. Aber Moment mal: Ist das noch gesund? Oder doch schon ... naja, irgendwie gestört? Diese Fixierung aufs Essen?
Cleo Wichelhaus (Wirtschaftspsychologin, Coach und Trainerin) hat am eigenen Leib erfahren, wie schnell man in eine Essstörung schlittern kann. Als Gesprächspartnerin der dritten Folge unseres Podcasts „Erwachsen werden? Lass machen.“ erzählt sie Gastgeberin Vivi Hähne radikal offen von ihrem Weg in die Sucht. Ein Weg, der schon in ihren Kindertagen vorgezeichnet war. Im Alter von zwölf Jahren hat sie angefangen, sich nach dem Essen zu übergeben. Es folgten Jahre des Kampfes, der inneren Zerrissenheit. Von morgens bis abends habe sie ans Essen gedacht: „Wie viel habe ich gegessen? Habe ich genug Sport gemacht? Habe ich mich nach dem Essen übergeben oder nicht? Was für Lebensmittel habe ich gegessen?“
Cleo Wichelhaus lebt seit ihrer Kindheit mit einer Essstörung. Im Alter von zwölf Jahren hat sie sich erstmals nach dem Essen übergeben. Der Grund? Eine tiefe innere Unsicherheit, Angst vor dem Leben und ein geringes Selbstwertgefühl.
Ein Klinikaufenthalt mit 16 und therapeutische Hilfe im Anschluss gaben ihr Stabilität und halfen ihr, sich selbst anzunehmen.
Heute arbeitet sie als Wirtschaftspsychologin, Coach und Trainerin, sie betreibt mit ihrer Schwester zusammen die Plattform Sisterhood of Selfcare und ist Gastgeberein eines Podcasts.
Irgendwann wird der Druck zu groß. Da ist Cleo 16 Jahre alt. „Es ging mir zu dem Zeitpunkt sehr, sehr schlecht“, sagt sie. „Da kamen dann auch noch andere Substanzen dazu, die ich genutzt habe, um meine Gefühle wegzudrücken. Es bleibt ja nicht nur beim Essen, sondern dann kommt eben noch der Alkohol dazu oder andere Substanzen.“ Der einzige Ausweg: ein Aufenthalt in einer Klinik. Das hat ihr geholfen, sich zu stabilisieren. „Und das war zum einen total schön, das erste Mal mit Gleichgesinnten zusammen zu sein und zu wissen: Ich bin mit dem Problem nicht alleine.“ Nachhaltig geholfen hat es Cleo aber nicht.
Nach drei Monaten in der Klinik waren die Probleme wieder da. Denn das „echte“ Problem, erzählt Cleo, war ja nicht das Essen. Sondern die innere Leere. Die Unsicherheit. Diese tiefe Verunsicherung, die sie nur dann nicht fühlen musste, wenn es was zu essen gab. Die wirklichen Fragen waren nämlich nicht: „Was habe ich gegessen?“ Die echten Fragen waren: „Warum fürchte ich mich vorm Leben? Warum macht mir alles Angst? Warum bin ich so unsicher im Kontakt mit anderen Menschen?“ Woher aber kam denn nun diese Unsicherheit? „Also, ich habe in meiner Kindheit und Jugend nicht gelernt, gut für mich zu sorgen. Ich habe nicht gelernt, wie ich mit meinen Gefühlen umgehe. Ich habe nicht gelernt, wie ich liebevoller mit mir umgehe.“
Die Lösung – und damit auch der Weg heraus aus der Essstörung – wurde sichtbar, als sich Cleo im geschützten Raum einer therapeutischen Gruppe öffnen konnte. Zum ersten Mal durfte sie sich zeigen, wie sie wirklich war, wie sie wirklich empfand – ganz ohne die schon längst wieder zur Normalität gewordene Heimlichtuerei: „Ich habe ein Leben geführt, von dem hatte keiner eine Ahnung“, sagt sie heute. „Ich habe immer heimlich gegessen. Und das auszusprechen, zu sagen, was ich da mache und wie es mir so geht und mich einfach zu zeigen mit meinen Themen. Das ist am Anfang echt scary.“ Aber hilfreich.
Auch heute ist die Frage nach dem richtigen Umgang mit Essen nicht aus Cleos Leben verschwunden. Aber die Hürden sind niedriger geworden: „Ich glaube, es ist wichtig, dass Essen friedlich ist. Dass das Essen nicht zwanghaft wird. Dass ich nicht ständig Kalorien zähle. Dass ich nicht jeden Tag mindestens eine Stunde Sport machen muss. Oder dass ich unbedingt, wenn ich Fastfood gegessen habe, drei Stunden spazieren gehen muss.“
Wie man das erreicht? „Mir hat geholfen, mir zu erlauben, Hilfe anzunehmen und mir nicht zu sagen, dass ich versagt habe, weil ich Unterstützung annehme.“ Und: Der enge Kontakt zu sich selbst, ein guter Umgang mit dem eigenen Ich. Dann ist es möglich, mit einer Essstörung zu leben. Ganz besiegen kann man diese Krankheit nicht. Aber man hat einige Hebel in der Hand, um ein gutes, glückliches Leben zu führen – trotz Essstörung. Nur: Von selbst geht diese Krankheit nicht weg.
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