Ein Tisch mit Mikrofon, Laptop und Kaffeetasse

Folge #8
And the Oscar goes to?
Über den Druck nach dem Erfolg

Erwachsen werden? Lass machen.
Der Coming of Age-Podcast der IKK classic.

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Druck in der Schule oder im Beruf, das kennen wir alle. Leistung und Erfolg sind Gradmesser, die über unser Leben bestimmen – und letztlich über Wohlbefinden und Gesundheit. Diesen Mechanismus kennt auch Filmemacher und Oscar-Gewinner Simon Denda. Warum nach einem Mega-Erfolg der Druck nicht weg ist, sondern erst so richtig los geht, darüber hat Vivi Hähne mit Simon gesprochen.

Im Jahr 2021 hat Simon Denda seinen Film „Adisa“ bei den Oscars eingereicht – naja, um ganz ehrlich zu sein: Die Hochschule, an der er sein Regie-Studium absolvierte, hat den Film ausgesucht und nach Los Angeles ins Rennen um den wohl begehrtesten Filmpreis der Welt geschickt. „Adisa“ konkurrierte mit 1.400 Filmen aus aller Welt. Denda hatte die Ehre – oder die Bürde, ganz wie man es nimmt – mit seinem Film die Hochschule für Fernsehen und Film in München zu vertreten. Das alleine hatte schon ein gewisses Druck-Potenzial.

„Bei der Einreichung des Filmes hofft man natürlich, dass man gewinnt, aber man verdrängt das, weil die Wahrscheinlichkeit einfach unglaublich gering ist“, sagt er. „Von daher war der Druck am Anfang nicht so hoch. Er stieg natürlich mit jeder Runde, die ich weitergekommen bin, weil man merkt, es wird jetzt immer enger. Und dann fängt man an, Wahrscheinlichkeiten auszurechnen.“ Und irgendwann war dann der Abend der Verleihung da und sein Film immer noch im Rennen – doch statt im Smoking in einem roten Sessel des Dolby Theatres in Hollywood am Hollywood Boulevard saß Simon Denda in Shorts vor seinem Laptop in Deutschland. Quarantäne, Lockdown.

Lockdown statt L.A. – Oscar Verleihung in Quarantäne-Zeiten

„Ich saß zu Hause in kurzer Hose an meinem Rechner. Asghar Farhadi (iranischer Drehbuchautor und zweifacher Oscar-Gewinner) sitzt mir gegenüber in einem Zoom-Meeting und sagt: Ja, du hast den Oscar gewonnen.“ Ein irres Gefühl – und ein wehmütiges: Denn normalerweise findet die Verleihung der Academy of Motion Picture Arts and Sciences in einem tollen Saal statt – man kennt den Ort aus dem Fernsehen. „Da sind 1.000 Sitzplätze, rechts und links stehende Riesen-Oscar-Statuen und du stehst auf der Bühne und hältst deine Dankesrede. Ich saß zu Hause in Shorts und habe dem Boten meinen Oscar aus der Hand genommen.“

Und dann? Erleichterung pur, denn das Leben ist ja ab jetzt ein Selbstläufer? Im Gegenteil: Nach der Verleihung fing der Druck für Denda erst richtig an. „Die Academy hat es sehr schön gesagt: Es ist mega gut, dass du diesen Preis gewonnen hast. Aber dieser Preis bildet die Vergangenheit ab, nicht die Zukunft. Und you have to work now! Das war dann der große Satz. Und Sie haben absolut recht.“ Denn ein Jahr später gibt es wieder neue Preisträger. Du hast also zwölf Monate Zeit, um aus diesem Preis das Maximum an Kapital zu schlagen. Zwölf Monate, in denen die Kultur im Lockdown war. Mega-Druck.

Gast der achten Folge: Simon Denda

Simon Denda (1987 in Karlsruhe geboren) ist Regisseur und Autor. Er lebt in München und Karlsruhe. Und: Er hat vor einem Jahr den Studenten-Oscar für seinen Film "Adisa" bekommen – die auch für den Nachwuchs höchste Auszeichnung im Filmgeschäft. Sein Erfolg, der Zugang zur Kultur, war ihm dabei keineswegs in die Wiege gelegt.

Er stammt, wie er auf seiner Homepage über sich selbst schreibt, „aus einer Arbeiterfamilie, und als ich aufwuchs, war Kunst für mich unerreichbar. Filme gaben mir irgendwie ein Zuhause und Trost. Deshalb beschloss ich, mich daran zu beteiligen. Ich hatte keine Ahnung... Aber das hat mich nicht aufgehalten.“

Bei seinem Regie-Studium an der Hochschule für Fernsehen und Film in München hat er nicht nur das Handwerk des Filmemachens gelernt. Er hat auch Seite an Seite mit den Menschen studiert, die heute als Film-Kritiker über seine Arbeit urteilen und so über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Mit ihm haben wir über die Herausforderungen beim Filmemachen gesprochen und darüber, welch unglaublichen Druck eine so große Auszeichnung für einen jungen Filmemacher entfalten kann.

Portrait von Philipp Alt

Ausweg aus der Krise: Selbstermächtigung

Dann fiel Denda der Satz ein, den sie ihm in der Academy-Rede mitgegeben hatten: „You have to do the work. Und da habe ich mich hingesetzt.“ Der Weg raus aus der Verzweiflung führte über das Thema Selbstermächtigung. Man hat nicht alles in der Hand, das sicher nicht. Aber es gibt Dinge, die können wir ändern, indem wir sie anpacken. Indem wir das tun, was möglich ist, statt darüber zu lamentieren, dass nicht noch mehr geht als das. Die Frage: ‚Was will ich?‘ muss mit der Frage: ‚Was ist möglich?‘ in einen Zusammenhang gebracht werden. „Es geht darum, zu verstehen, dass man den Sachen nicht ausgeliefert ist.“

„Ich habe also angefangen, Stoffe zu schreiben. Geschichten zu entwickeln. Und dann habe ich gefühlt so ziemlich jede Produzentin und jeden Produzenten in Deutschland angeschrieben und gesagt: Hey, ich habe gerade den Oscar gewonnen. Wollen wir mal sprechen? Und das hat wirklich zu 95 % Rücklaufquote geführt“, beschreibt Denda seinen Weg aus der Lähmung. Fast alle haben sich gemeldet und gesagt: Ja klar, lass uns mal quatschen. „Und ich hatte somit zumindest mal das initiale Erstgespräch und konnte mich mit Leuten zusammenschließen. Und das hat mir den Druck total genommen, weil ich Gefühl hatte, ich – aus mir heraus – kann jetzt etwas bewirken und etwas gestalten. Und so habe ich nicht mehr daran gedacht: Ich muss jetzt den perfekten nächsten Film machen, sondern einfach nur den Satz vor mir gehabt: Ich möchte einen nächsten Film machen. Und ob der jetzt mega gut wird oder nicht mega gut, liegt nicht allein in meiner Hand.

Agieren, das tun, was möglich ist, hat Denda aus dem Loch geholfen und auch den großen Druck genommen. Entscheidend war, selbst das Gefühl der Kontrolle zu haben. Was am Ende daraus wird? Das liegt oft nicht in unserer Hand. „Das einzige, was wir tun können, ist aktiv sein und uns fortbilden und uns die Welt anschauen und überlegen, wie wir zur Welt stehen. Alles andere kommt von außen. Darüber haben wir keine Kontrolle. In unserem Job ist Glück ein ganz großer Faktor. Das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Und das Einzige, was du machen kannst, ist die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass das Glück dich trifft.“

Statt Luft unter den Flügeln gab es die große Lähmung

„Du musst dieses Jahr so effektiv nutzen, wie es nur irgendwie geht, um deine Karriere voranzutreiben“, sagt Simon Denda über die Gedanken, die sich in seinem Kopf drehten. Und statt Luft unter den Flügeln war da plötzlich eine ganz große Schwere. „Das war nicht nur bei mir so, auch bei den Preisträgerinnen und Preisträgern, die mit mir gewonnen haben. Das hat erst mal zu so einer Art Lähmung geführt, weil jeder wusste: Okay, du musst unbedingt alles tun und alles geben. Aber was muss ich tun? Was muss ich geben? Gebt mir doch bitte einen Leitfaden. Ich habe keine Ahnung. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Das hat bei manchen auch wirklich zu so einem Burn-out-Syndrom geführt.“

Bei Denda führt es nicht in einen Bornout, sondern zu einem massiven Gefühl von Enttäuschung. „Weil nichts von dem eingetreten ist, was ich erwartet haben nach dem Oscar. Es wurde einem vorher immer suggeriert: Dir wird die Bude eingerannt, du kriegst einen Haufen Interviewanfragen, Drehbücher werden dir zugeschickt, du kannst dich vor Angeboten nicht retten.“ Im Jahr 2021 aber war Corona. Da war Lockdown. Da lag der Kulturbetrieb am Boden. „Und so kam erst mal: nichts. Es war Totenstille und ich musste damit erst mal klarkommen.“

Hilfe beim Umgang mit Druck

Hier findest du Anlaufstellen, an die du dich bei Fragen und Problemen wenden kannst.

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