Eisbaden: Gesunder Immun-Turbo oder nur ein Freizeit-Hype?

Redaktion
IKK classic

Immer mehr Menschen begeistern sich für das Eisbaden. Kein Wunder, denn das Bad in eiskaltem Wasser soll das Immunsystem stärken und den Körper abhärten. Aber ist das Bad in extremer Kälte wirklich so gesund? Und ist der nordische Freizeittrend für alle geeignet?

Seit Wochen schon stehen sie in den Startlöchern und warten auf den lang ersehnten Kälteeinbruch. Ob an der Nordseeküste, am Flaucher in München oder am Titisee im Schwarzwald: Winterschwimmer und Eisbader können es kaum erwarten, endlich wieder ins eiskalte Nass zu steigen. Ob nun aus Überzeugung darüber, dass dieses Ritual abhärtet und den Geist auf ein neues Level hebt, ob als Mutprobe, für den extra Adrenalin-Kick oder nur für das nächste spektakuläre Selfie, das in der Hoffnung auf viele Likes in den sozialen Medien hochgeladen wird.

Doch wie gesund ist der Kälte-Kick wirklich? Wir haben mit der Molekularbiologin und "Eisbadelehrerin" Dr. Josephine Worseck über die gesundheitlichen Effekte des Eisbadens gesprochen, aber auch über die Risiken für bestimmte Personengruppen. Außerdem gibt die Expertin Tipps für all diejenigen, die das Baden im Eis einmal selbst ausprobieren möchten.

Dr. Josephine Worseck, Eisbadelehrerin und promovierte Molekularbiologin © privat

Die Expertin im Interview

Dr. Josephine Worseck ist promovierte Molekularbiologin und als Heilpraktikerin, Yoga- und Meditationslehrerin tätig. 2017 war sie die erste zertifizierte Wim-Hof-Trainerin Deutschlands. Auf Basis der Wim Hof-Methode hilft sie Privatpersonen, Verbänden und Firmen dabei, die positive Wirkung der Kälte für sich zu nutzen, organisiert Reisen und leitet Workshops. 2020 erschien ihr Buch "Die Heilkraft der Kälte" (Riva Verlag).

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Warum Eisbaden gesund sein kann

  • Frau Dr. Worseck, Eisbaden ist mittlerweile zu einem Freizeit-Trend geworden. Ist das Baden in eiskaltem Wasser wirklich so gesund, wie behauptet wird?

    Die Eisbade-Community erlebt tatsächlich einen enormen Zulauf. Dabei ist das Eisbaden keine neue Erfindung. Im Gegenteil. Schon der Naturheilkundler Sebastian Kneipp, Namensgeber der berühmten Kneipp-Medizin, wusste im 19. Jahrhundert bereits, dass Kuren mit kaltem Wasser die Abwehrkräfte stärken.

    Heute ist das in Studien auch nachweisbar: Regelmäßiges Baden in eiskaltem Wasser führt dazu, dass sich die weißen Blutkörperchen im Körper stark vermehren. Die B- und T-Lymphozyten sind so etwas wie die "Immun-Polizei", die den Organismus gegen Infekte durch Viren oder Bakterien wappnen. Das menschliche Immunsystem ist ein sehr komplexes Netzwerk, das auch heute noch nicht vollständig erforscht ist. Wie es genau zu diesem Abhärtungs-Effekt kommt, lässt sich daher noch nicht abschließend beantworten.

  • Was genau passiert im Körper, wenn er beim Baden extremer Kälte ausgesetzt ist?

    Beim Eisbaden ist der Körper einem starken Kältereiz ausgesetzt, wobei sich die Blutgefäße für einen kurzen Moment zusammenziehen. Um sich warm zu halten, weiten sich die Gefäße wieder, sodass das Blut schneller zirkulieren kann. Dadurch wird der Kreislauf trainiert und dauerhaft stabilisiert. Regelmäßiges Eisbaden kann somit helfen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorzubeugen. Es hat also ähnliche Effekte auf den Organismus wie das Saunieren.

  • Welche weiteren positiven Effekte hat das Eisbaden noch auf die Gesundheit?

    Wissenschaftler vermuten, dass durch den plötzlichen Kältereiz ein ganzer Cocktail von Hormonen ausgeschüttet wird, darunter Adrenalin und verschiedene Endorphine, aber auch Stoffe, die entzündungshemmend wirken, wie bestimmte Kortikoide und der Botenstoff Noradrenalin. Gerade Menschen, die unter chronischen Erkrankungen wie Rheuma oder Arthritis leiden, profitieren davon. Noradrenalin aktiviert zudem die braunen Fettzellen. Es kurbelt also auch die Fettverbrennung an und kann somit Übergewicht und damit verbundene Krankheiten wie Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen gegensteuern.

Tipps für Eisbade-Neulinge

  • Stimmt es, dass Kälte auch gezielt bei mentalen Erkrankungen eingesetzt wird?

    Das ist richtig. Das "Glücks- und Wachhormon" Noradreanlin, das durch den Kältereiz vermehrt produziert wird, spielt auch bei depressiven Erkrankungen eine Rolle. Kälte aktiviert außerdem den Vagus-Nerv, der bei depressiven Verstimmungen involviert ist. Kältereize wirken hier also doppelt vorteilhaft. Menschen mit Depressionen und Burnout können, begleitend zu einer Therapie, von Kälte profitieren, zum Beispiel in Form von eiskalten Gesichtsbädern, denn dies aktivieren den Vagus-Nerv direkt.

  • Welche Tipps können Sie Menschen geben, die sich zum ersten Mal ins eiskalte Wasser wagen wollen?

    Anfängern rate ich, nicht gleich bei einer Temperatur von 3 Grad Celsius ins Wasser zu gehen, sondern sich ganz langsam heranzutasten. Am besten ist es, bereits im Spätsommer bei vielleicht 15 Grad Wassertemperatur anzufangen und dann allmählich erst auf 10, dann auf 8 Grad runter zu gehen. Falls es schon Winter ist, dann hilft es, den Körper mit kalten Duschen für ein paar Wochen vorzubereiten.

  • Ins eiskalte Wasser zu steigen, kostet auch Überwindung. Kann man sich darauf irgendwie vorbereiten?

    Ein super Einstieg in das Thema Kälte ist tatsächlich das kalte Abduschen des gesamten Körpers, jeden Tag etwa 10 bis 30 Sekunden. Generell sollte man sich Zeit nehmen für das Bad im Eiswasser, um sich auch mental darauf einstellen zu können. Also eher am Wochenende als unter Zeitdruck zwischen mehreren Terminen. Genießen Sie das Eisbad als eine Wellness-Einheit für sich selbst und nehmen Sie sich einen Moment, um achtsam mit sich umzugehen. Kurz bevor man ins Wasser steigt, hilft es, den Blick über das Wasser gleiten zu lassen, sich auf den Atem zu konzentrieren, Gefühle und Gedanken zu ordnen und sich eine Intention zu setzen.

  • Wie oft und wie lange sollte man im Wasser bleiben?

    Ein- bis zweimal pro Woche für jeweils zwei Minuten. Das reicht vollkommen aus, um die weißen Blutkörperchen anzureichern. Öfter ins Eiswasser zu gehen, wäre für viele Menschen sogar kontraproduktiv. Wie die Muskeln nach dem Sport, braucht der Körper nämlich auch nach dem Eisbaden eine Ruhephase zur optimalen Muskelregeneration. Andernfalls droht ein Übertraining.

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Für wen Eisbaden gefährlich sein kann

  • Kann es nicht auch gefährlich sein, in offenem Gewässer eisbaden zu gehen?

    Nicht, wenn man sich an die Regeln hält. Zuallererst sollte man nur an Ufern ins Wasser gehen, die als Badestellen ausgewiesen und daher gut zugänglich sind. Außerdem immer mindestens eine Begleitperson mitnehmen. Gerade, wenn man noch nicht geübt ist, sollte man nicht auf den See hinausschwimmen, sondern nur soweit ins Wasser gehen, dass man noch stehen kann. In der Kälte reagieren die Muskeln anders, das darf man nicht unterschätzen. Für den Anfang genügt es auch, bis zur Hüfte im Wasser zu sein. Dann langsam bis zu den Schultern untertauchen und in der Kälte zur Ruhe kommen. Hinterher gut abtrocknen und etwas Warmes trinken, denn die Kälte entzieht dem Körper viel Energie.

  • Gibt es Personen, für die Eisbaden nicht geeignet ist?

    Prinzipiell tut Eisbaden jedem gesunden Menschen gut. Personen, die an Herz-Kreislauf-Störungen leiden, sollten aber unbedingt Rücksprache mit ihrem Arzt halten, ob das Kältetraining für sie geeignet ist. Bluthochdruck-Patienten empfehle ich es nicht, denn durch die Kälte schießt der Blutdruck schnell nach oben. Auch Menschen, die einen Herzinfarkt hatten, unter Herzrhythmusstörungen leiden oder Gefäßerkrankungen haben, sollten aufs Eisbaden verzichten. Dazu zählt auch das Raynaud-Syndrom Typ II, eine Durchblutungsstörung insbesondere der Finger, die unter anderem durch Kälte ausgelöst wird.

  • Wie sieht es mit Eisbaden in der Schwangerschaft aus?

    Schwangere sollten meiner Meinung nach in den ersten zehn Wochen aufs Eisbaden verzichten, um das Immunsystem nicht übermäßig zu aktivieren, was die Einnistung negativ beeinflussen oder eine immunbedingte Abstoßungsreaktion auslösen könnte. Danach ist Eisbaden möglich, aber sollte nicht übertrieben werden: Lieber nicht ganz so kalt und auch kürzer baden und immer auf den Körper hören. Eisbaden ist übrigens eine prima Vorbereitung auf die Geburt, da Kälte beruhigend wirkt und Körper und Geist trainiert, mit herausfordernden Situationen umzugehen.

Das kleine Einmaleins des Eisbadens

  • Nicht Eisbaden sollten Menschen mit Herz-Kreislaufstörungen, Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen oder Gefäßerkrankungen und Personen, die einen Herzinfarkt erlitten haben. Im Zweifel mit dem Hausarzt sprechen.

  • Beginnen Sie behutsam bei mäßig kalter Wassertemperatur (15 Grad).

  • Anfangs nur wenige Sekunden im Wasser verweilen.

  • Ein- bis zweimal pro Woche ist ausreichend.

  • Wählen Sie ausschließlich Gewässer, an denen das Baden ausdrücklich erlaubt ist und Stellen, die flach abfallend sind.

  • Gehen Sie langsam ins Wasser und nur so weit, wie Sie den Boden unter Ihren Füßen spüren. Niemals ins Wasser springen!

  • Niemals unter Eisdecken tauchen.

  • Atmen Sie kontrolliert und ruhig.

  • Schieben Sie Ihre Hände unter die warmen Achseln, damit die Finger beweglich bleiben und Sie sich hinterher anziehen können.

  • Feste Badeschuhe schützen vor Glasscherben und spitzen Steinen.

  • Immer mindestens in Begleitung einer weiteren Person ins Wasser gehen.

  • Nach dem Baden gut abtrocknen.

  • Bringen Sie sich eine feste Unterlage für Ihre Kleidung mit. So bleibt sie trocken, wenn Sie sie am Ufer ablegen.

  • Gehen Sie niemals eisbaden, wenn Sie sich krank fühlen!

Eisbad zur Regeneration nach einer intensiven Sporteinheit

Nach harten Laufbelastungen ist ein Eisbad ideal. Außerdem wird die Durchblutung im gesamten Körper angeregt. Hier das perfekte Rezept für alle, die daheim eiskalt regenerieren wollen:

  • Badewanne mit kaltem Wasser füllen

  • 4 bis 6 Kilo Eiswürfel hinzugeben

  • 10 bis 15 Grad Eisbad-Temperatur

  • 10 Minuten im Eisbad bis zum Hüftbecken verbringen (maximal)

  • Shorts und Shirts anbehalten

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Veröffentlicht am 19.08.2024

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