Von Vater zu Tochter: Generationen- wechsel im Handwerk

Friseurin ja, Bauarbeiterin nein? Lass dich nicht von veralteten Handwerks-Rollenbildern abschrecken! Immer mehr junge Frauen zeigen, dass eine Karriere in traditionellen Männerdomänen möglich ist. Dachdeckermeisterin Sophia Lewe, 24, und Tischlermeisterin Jule Rombey, 24, möchten sogar die Firmen ihrer Väter übernehmen und erzählen hier, warum das Handwerk sie so glücklich macht.

Das Handwerk umfasst eine ganze Bandbreite von gewerblichen Tätigkeiten. In vielen Bereichen gibt es bereits eine hohe Frauenquote, weil sie als klassische Berufe für weibliche Arbeitskräfte wahrgenommen werden: Friseurinnen, Konditorinnen, Goldschmiedinnen oder Hörakustikerinnen – für uns ist es ganz normal, dass Frauen diese Arbeit ausüben.

Doch wie ist es mit Blick auf die Baubranche? Eine Männerdomäne. Schweißerin, Dachdeckerin, Tischlerin oder Zimmerin, diese Tätigkeiten sind für Frauen nicht alltäglich. Noch nicht! Denn zunehmend mehr weibliche Nachwuchskräfte entscheiden sich für eine Ausbildung in genau diesen Bereichen. Vielleicht ist auch dir schon auf Social Media aufgefallen, dass es immer häufiger Profile von jungen Handwerkerinnen gibt. Sie zeigen in ihren Posts, Stories und Reels, dass man für die Arbeit Köpfchen und Kreativität braucht, große Muskeln hingegen immer weniger gefragt sind.

Dachdecken steht für frische Luft, Bewegung und abwechslungsreiche Aufgaben

Sophia Lewe ist das beste Beispiel dafür: Die zierliche 24-Jährige erklimmt, ohne mit der Wimper zu zucken, schwindelnde Höhen auf den Dächern ihrer Heimatregion Ostwestfalen. „Ich hatte schon als Kind den Wunsch, Dachdeckerin zu werden“, erzählt sie. „In meinem Beruf bin ich immer an der frischen Luft, habe jeden Tag reichlich Bewegung und abwechslungsreiche Aufgaben. Wenn ich durch die Ortschaften fahre und links und rechts Häuser sehe, deren Dächer ich mit gedeckt habe, fühlt sich das gut an.“

Ein Grund für Sophias Begeisterung für das Handwerk ist sicher auch ihr Vater, Dachdeckermeister Stefan Lewe. Schon dessen Vater und Großvater waren Dachdecker und das Unternehmen Lewe wurde von Generation zu Generation weitergegeben. „Mit meinem Vater konnte ich nicht auf einer Baustelle arbeiten. Das gab nur Streit“, erinnert sich der 54-Jährige. Doch mit seiner Tochter verbindet ihn eine tiefe Freundschaft. Gemischte Teams harmonieren einfach besser und Stefan Lewe ist offen dafür, wenn Sophia in ein neues Computerprogramm oder eine Drohne investieren möchte. Dass sie fest plant, den Familienbetrieb zu übernehmen, erfüllt ihn mit Stolz.

Drei Generationen im Dachdecken: Großvater, Vater und Tochter
Vom Großvater Helmut (links) zum Vater Stefan (rechts) und weiter zur Tochter Sophia – die Dachdeckerei Lewe ist ein gutes Beispiel dafür, dass junge Frauen als nächste Generation erfolgreich in den Handwerksbetrieb einsteigen können

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Handwerk: genauso viel wert, wie eine akademische Laufbahn

Noch immer hält sich in den Köpfen der Gedanke, dass ein Studium mehr wert sei als eine handwerkliche Ausbildung. Doch es gibt zahlreiche Möglichkeiten, sich im Handwerk weiterzubilden, Führungsverantwortung zu übernehmen und sich sogar selbstständig zu machen oder einen Betrieb zu übernehmen. Wusstest du, dass die Titel Bachelor (Universität) und Meister (Handwerk) gleichgestellt sind? Dann gibt es noch den Titel „Geprüfter Betriebswirt“ (HwO). Er baut auf der Meisterausbildung auf, stellt die höchste Qualifikationsebene im Handwerk dar und ist sogar dem akademischen Master Studium gleichgestellt.

„Ich habe mein Abitur gemacht, dann im Jahr 2020 meine Gesellenprüfung und im Mai 2023 bin ich Dachdeckermeisterin geworden. Viele meiner ehemaligen Mitschülerinnen und Mitschüler studieren immer noch und verdienen kein eigenes Geld“, beschreibt Sophia Lewe ihren Karriereweg. Ihr nächster Schritt wird der Abschluss zur Betriebswirtin sein, den man an einer Akademie der Handwerkskammer machen kann.

Junge Frauen beweisen, dass das Handwerk auch weiblich sein darf:

  • Moderne Maschinen und Werkzeuge ersetzen mehr und mehr die Muskelkraft.

  • Gemischte Teams arbeiten besser: Vater und Tochter, Kolleginnen und Kollegen, gemeinsam geht die Arbeit besser von der Hand, man ergänzt sich gut und es wird mehr gelacht.

  • Von der Gesellin zur Meisterin und zur Betriebswirtin, eine Karriere im Handwerk ist längst nicht mehr nur Männern vorbehalten.

  • Firmeninhaberin werden: Ob Generationenwechsel von Vater zu Tochter oder die Gründung eines eigenen Handwerkbetriebes, für Frauen ist auch das heute möglich.

  • Wusstest du, dass es eine große Anzahl an bestehenden Handwerksbetrieben gibt, die keine familiären Nachfolgerinnen oder Nachfolger haben? Die Chance, dass du auf deinem weiteren Karriereweg eine Firma in deiner Region entdeckst, die du übernehmen kannst, ist also sehr groß.

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Im Alter von sechs Jahren das erste Treppenmodell zusammengenagelt

Auch Jule Rombey gehört zu den jungen Frauen, die im Handwerk erfolgreich ihren Weg gehen. Im väterlichen Betrieb Holztreppen-Rombey in Selfkant, der westlichsten Gemeinde Deutschlands, ist sie als Tischlermeisterin tätig und hat bereits den Titel „Miss Handwerk 2020“ gewonnen. Auch sie hat von klein auf Werkstattluft und den Geruch von Holz geschnuppert und schon als 6-Jährige mitgewerkelt und Treppenmodelle zusammengenagelt.

Heute ist die 24-Jährige auf Augenhöhe mit ihrem Vater im Unternehmen tätig: „Wir arbeiten partnerschaftlich zusammen. Bei der Kundenberatung sind wir vom Erstgespräch bis zur Montage von Anfang bis Ende gemeinsam eingebunden und ergänzen uns perfekt.“ Frank Rombey schätzt das „gemeinsame Gestalten, miteinander zu tüfteln und etwas Neues entstehen zu lassen“ sehr. Er hat sich immer gewünscht, dass seine Kinder sich selbst verwirklichen können. Seiner Tochter bietet er genau diese Möglichkeit im Familienunternehmen.

Ein Vater steht mit seiner Tochter in einem Handwerksbetrieb
Vater Frank und Tochter Jule Rombey arbeiten in ihrem Betrieb für hochwertige Holztreppen Hand in Hand.

Jule Rombey ist zudem bei der Initiative "Handwerk hilft" aktiv, die sich für Bildung und Chancengleichheit benachteiligter Kinder einsetzt. Das #TeamHandwerkHilft, bestehend aus Handwerkern und deren Zulieferern, organisiert jährlich zum Weltkindertag einen Aktionstag für Jungen und Mädchen. Diese können beim Fahren eines Minibaggers oder mit kleinen Geschicklichkeitsspielen das Handwerk und seine kreativen Entfaltungsmöglichkeiten kennenlernen, denn „auch ich selbst wäre nie mit diesem Arbeitsbereich in Berührung gekommen, wenn es nicht den Betrieb meines Vaters gegeben hätte“, meint Jule Rombey.

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Wie gehen männliche Kollegen oder Kunden mit Frauen im Handwerk um?

Zu dünnhäutig darf man bei dem bisweilen rauen Umgangston nicht sein, das ist klar. Und als Frau sollte man mit Selbstbewusstsein auftreten. Dachdeckermeisterin Sophia Lewe hat bislang nur gute Erfahrungen gemacht. Als Tochter des Firmeninhabers und zukünftige Nachfolgerin wird ihr natürlich mehr Respekt entgegengebracht. Es bedeutet allerdings auch, dass sie manche Male ausgeschlossen wird, wenn sich die anderen jungen Kollegen nach Feierabend unterhalten oder treffen – aber damit kann sie gut umgehen und hat ihren eigenen Freundeskreis, der sie auffängt.

„In meinen 41 Berufsjahren habe ich noch nie erlebt, dass das Können von Frauen im Handwerk angezweifelt wurde“, ist sich Frank Rombey sicher. Vielmehr hat er miterlebt, dass Kollegen seiner Tochter interessiert Fragen stellen – und dabei schon mal ins Fettnäpfchen treten: „Machst du hier deine Lehre?“ und Jules Antwort mit einem Augenzwingern lautet: „Nein, ich bin bereits Tischlermeisterin“. Darüber können dann beide Seiten herzlich lachen.

„Eine wirkliche Herausforderung für Frauen im Handwerk ist es eher, die passende Berufsbekleidung zu finden“, erklärt Jule Rombey. „Die Hosen sind beispielsweise für männliche Körper mit schmalen Hüften geschnitten.“ Doch die Modeindustrie hat bereits mitbekommen, dass immer mehr Frauen in Handwerkskleidung stecken und arbeitet an Lösungen.

Sophia Lewe und Jule Rombey können sich ein Leben ohne Handwerk nicht vorstellen. Denkst du gerade über deine berufliche Zukunft nach? Dann erkundige dich doch mal nach einem Schnuppertag oder einem Praktikum in einem Handwerksbereich, der dich interessiert. Vielleicht bist du schon bald eine neue Kollegin von Sophia und Jule:

  • Junge Frauen, aber auch Männer, können sich jederzeit an die Beratungsstellen der jeweiligen Handwerkskammer wenden. Diese haben oftmals gute Kontakte zu engagierten Betrieben und können Kontakte knüpfen. 

  • Für jeden Handwerksberuf gibt es einen sogenannten Landungsinnungsverband, hier kannst Du mehr über die Aubsildungsmöglichkeiten in Deiner Lieblingsbranche erfahren.

  • Eine gute Übersicht über Aubsildungsmöglichkeiten in allen Handwerksberufen findest Du bei "Das Handwerk".

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