Mann sitzt traurig vor dem Fenster

Auch Männer haben Angst-
störungen

Mindestens jede achte Person in Deutschland ist im Leben von einer Angststörung betroffen. Jedoch haben insbesondere Männer häufig Probleme damit, sich Probleme einzugestehen und Hilfe zu suchen. Einer von ihnen war Norman René Wolf. Im Instagram-Livetalk mit Psychologin Vivian Hähne erzählt er das erste Mal von seiner Angststörung und was ihm geholfen hat.

Angst gehört zum Leben dazu. Sie ist ein überlebenswichtiges Gefühl. Wenn wir Angst haben, wird der Körper in Alarmbereitschaft versetzt, um schnell auf eine drohende Gefahr reagieren zu können. Das ist ganz normal.

Es gibt jedoch Menschen, bei denen Ängste zum ständigen Begleiter werden. Dann kommt es auch in vermeintlich ungefährlichen Situationen zu starken Angstreaktionen. Diese äußern sich meist intensiver und länger. Sie können Angstzustände und Panikattacken auslösen, die für Betroffene meist nicht mehr zu kontrollieren sind. Diese Menschen leiden womöglich unter einer Angststörung.

Angststörungen sind die häufigsten psychischen Erkrankungen

Angststörungen sind die häufigste psychische Erkrankung in Deutschland. Jede achte Person leidet laut offiziellen Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) darunter. Die Dunkelziffer ist noch einmal deutlich höher. Expertinnen und Experten schätzen, dass etwa jede bzw. jeder Vierte von uns im Leben eine Angststörung durchmacht.

Angststörungen

Erfahren Sie hier alles Wissenswerte über die verschiedenen Angsterkrankungen, ihre Ursachen, die Behandlung und präventive Möglichkeiten. Mehr über Angststörungen erfahren

Einer davon ist Norman Wolf, selbst studierter Psychologe und Autor. Im Instagram-Livetalk auf dem Kanal der IKK classic hat er mit Psychologin Vivian Hähne über seine Erfahrungen, den Umgang mit Ängsten und was ihm geholfen hat, gesprochen.

„Seit meiner Jugend hatte ich immer wieder mit schwierigen Phasen zu kämpfen“, erzählt Norman Wolf. Ganz lange dachte er, dass es Episoden einer Depression sind. „Dinge, die mir normalerweise Spaß machen, haben dann keinen Spaß mehr gemacht. Ich hatte keine Motivation, irgendetwas zu tun.“ Viele Jahre hätte er versucht, alleine damit klarzukommen. Erst mit Ende 20 suchte er eine Möglichkeit zur Behandlung. „Da habe ich mir das erste Mal gedacht, dass ich nicht alleine damit fertig werden muss und es vielleicht an der Zeit ist, mir Hilfe zu suchen.“ Die Diagnose: Er leidet nicht unter Depressionen, sondern unter einer Angststörung.

Auch Männer leiden unter Angststörungen

Das Verhalten, physische und insbesondere psychische Probleme zu verdrängen, ist besonders bei Männern stark ausgeprägt. Grund dafür ist das immer noch weit verbreitete Selbstbild von Männern. „Als Kind hat man mir beigebracht, dass Jungs nicht weinen“, erzählt Norman Wolf. „Ich sei sensibel. Ich müsse das aushalten, ich solle mir eine harte Schale zulegen. Jungs seien einfach so.“ Ein klassisches Vorurteil. Anstatt zu lernen, die Probleme richtig anzugehen und zu beseitigen, wurde ihm beigebracht: „Hilfe ist nur was für schwache Leute.“

Ein Muster, das sich verfestigt hat. „So etwas legt man nicht mit dem Ende der Schulzeit wieder ab“, betont er. Bis heute könne er nicht weinen, wenn andere Menschen im Raum sind. „Selbst, wenn das Gefühl in mir hochkommt und ich weinen möchte. Sobald andere Menschen dabei sind, kommt das wieder hoch – und dann kann ich es nicht.“

Was ist toxische Männlichkeit?

Das ist, was Expertinnen und Experten als toxische Männlichkeit bezeichnen. „Das ist dieser Gedanke, dass Männer hart sein müssen und nur bestimmte Gefühle nach außen zeigen dürfen“, erklärt Norman Wolf. Statt seine Gefühle zuzulassen oder beispielsweise darüber zu reden, suchte er andere Wege, um das zu kompensieren. „Um meine Angst, Traurigkeit und Einsamkeit zu bekämpfen, habe ich gegessen und gegessen“, erzählt er. „Das hat für einen kurzen Moment gemacht, dass es mir gut ging. Zehn Minuten später ging es mir jedoch wieder schlecht.“

Dennoch ist es kein Thema, das nur Männer betrifft. „Es gibt natürlich auch Frauen, die nicht offen über ihre Gefühle sprechen können oder wollen“, betont Psychologin Vivian Hähne. Die Zahlen des RKI belegen jedoch, dass dieses Verhaltensmuster häufiger bei Männern auftritt. „Weil Menschen häufig ein falsches Bild von Männlichkeit im Kopf haben“, sagt Norman Wolf.

Der Teufelskreis der Angst

So entwickelte sich bei Norman Wolf das, was die Psychologin den „Teufelskreis der Angst“ nennt. „Wenn ich Angst vor einer bestimmten Situation habe, dann versuche ich, diese zu vermeiden. Dadurch entwickle ich immer mehr Ängste“, erklärt Vivian Hähne. Das ist typisch bei einer Angststörung. Um angstauslösenden Situationen aus dem Weg zu gehen, ziehen sich  Betroffene immer stärker zurück. Viele entwickeln sozusagen eine Angst vor der Angst.

Das ist ein Anzeichen dafür, dass man unter einer Angststörung leidet. Ein weiteres Anzeichen: Die eigene Gefühlswelt wird von Ängsten beherrscht und diese sind so stark, dass sie den Alltag erheblich beeinträchtigen.

Neben den rein emotionalen Symptomen wirkt sich das meist auch körperlich aus. Betroffene können beispielsweise unter Herzrasen, Schweißausbrüchen, Kälte- oder Hitzewallungen leiden. Im schlimmsten Fall kommt es zu einer Panikattacke.

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Welche Arten von Angststörungen gibt es?

Genau wie die Ausprägung sind bei einer Angststörung auch die Arten der Angst und die Situationen, die sie auslösen, sehr individuell. Grundsätzlich werden Angsterkrankungen in Phobien, Panikstörungen und generalisierte Angststörungen unterteilt.

„Es gibt ganz unterschiedliche Angststörungen und sie äußern sich auch unterschiedlich“, sagt Vivian Hähne. „Bei einer Agoraphobie geht es zum Beispiel darum, dass Betroffene Plätze oder Räume meiden, aus denen sie nicht fliehen können. Ganz typisch dafür sind etwa Supermärkte, Flugzeuge oder Konzerte.“

Wann wird aus Angst eine Angststörung?

Für eine Angststörung kann es viele mögliche Ursachen geben. Meist kommen mehrere Faktoren zusammen. Das können dauerhafter Stress und Belastungen sein oder einschneidende persönliche Ereignisse.

So wie bei Norman Wolf, der fast die komplette Schulzeit über gemobbt wurde. So arg, dass er irgendwann Angst davor hatte, in die Schule zu gehen. „Jeden Tag derart fertig gemacht zu werden, hat Spuren in mir hinterlassen“, sagt er. Die Pubertät wurde zum Albtraum. Wie stark, das hat er erst viele Jahre später herausgefunden, als er sich an einen Therapeuten gewandt hat. Dessen Diagnose lautete: Das jahrelange Mobbing wirkte wie ein Trauma und verursachte eine posttraumatische Belastungsstörung. Jedes Mal, wenn er mit großen Herausforderungen konfrontiert wurde, löste das Angstzustände aus.

Wie wird eine Angststörung diagnostiziert?

Die Diagnose einer Angststörung erfolgt in aller Regel durch eine Psychiaterin oder einen Psychiater. Menschen, die möglicherweise unter einer Angststörung leiden, sollten nicht davor zurückschrecken, diese Hilfe in Anspruch zu nehmen. „Niemand muss das alleine durchstehen“, betont Norman Wolf. „Wenn die Vermutung da ist, sollte man unbedingt mit einer Therapeutin oder einem Therapeuten sprechen.“

Er selbst hat den Kontakt zu seinem Therapeuten über die Homepage des Patientenservice 116117 gefunden. Über das Patienten-Navi können Praxen für Psychotherapie in der Umgebung gefunden und relevante Informationen darüber eingeholt werden. Wer glaubt, die passende Anlaufstelle gefunden zu haben, kann gleich einen Termin ausmachen. „Das hat mir sehr geholfen, dass es dieses Angebot online gibt“, betont er. „Dort kann man die erste Hürde leichter nehmen als am Telefon.“

Denn zunächst hätte auch er, obwohl er durch das Psychologie-Studium viel Vorwissen mitbringt, gezögert. „Ich dachte, ich brauche das nicht“, erklärt er. „Oder, dass es andere Menschen vielleicht dringender brauchen als ich. Denen wollte ich keinen Platz wegnehmen.“ Das seien ganz typische Verhaltensmuster. Dann kann es auch helfen, sich zunächst Freunden oder der Familie anzuvertrauen.

Die Angststörung überwinden: So läuft eine Behandlung ab

Wer sich an eine Therapeutin oder einen Therapeuten wendet, hat den ersten großen Schritt gemacht. Denn von diesen kann eine Angststörung relativ gut behandelt werden. Bei der langfristigen Behandlung von krankhaften Ängsten wird häufig eine kognitive Therapie angewendet. Damit können die Symptome gemildert werden bzw. auch ganz bekämpft werden. Je nach Ausprägung der Angststörung kommen zudem Medikamente zum Einsatz.

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Bei der Verhaltenstherapie lernen Betroffene, mit ihren Ängsten umzugehen und ihre Verhaltensmuster zu verändern. „Das hat mir eine ganz neue Welt eröffnet“, sagt Norman Wolf. Ihm hat es geholfen, seine Angststörung zu überwinden. „Ich kann inzwischen viel gesünder mit dem Thema umgehen.“

Deshalb hat er zum Abschluss des Instagram-Livegesprächs einen Rat: „Traut euch, Hilfe zu suchen, wenn ihr ein Problem habt.“ Und das ganz unabhängig vom Geschlecht.

Norman René Wolf

Norman René Wolf war jahrelang Opfer von massivem Mobbing, weil er nach Aussage seiner Mitschüler „einfach nur er selbst“ war. Die negativen Gefühle versuchte er durch Essen zu kompensieren. Normans Probleme fielen plötzlich wie Dominosteine um, als zwei seiner Hauptmobber die Schule verließen. Norman nimmt ab, seine Noten werden schlagartig besser, er macht sein Abitur mit einem Schnitt von 1,2. Anschließend beginnt er ein Psychologiestudium in Marburg. Heute ist er Buchautor („Wenn die Pause zur Hölle wird“) und berichtet auf seinem Instagram-Account (@deintherapeut) über Mental Health-Themen, um anderen jungen Menschen Mut zu machen.

Portraitfoto von Norman René Wolf © privat
Credit: privat
Portraitbild von Vivian Hähne © www.jochenhans.com
Credit: www.jochenhans.com

Vivian Hähne

Als Psychologin, Influencerin (@vivis.psychologie) und Gastgeberin des IKK-Podcasts „Erwachsen werden? Lass machen.“ kennt sich Viviane Hähne mit Themen wie mentaler Gesundheit, Mobbing und Angststörungen aus. Damit geht sie auch an Schulen und berät zum Umgang mit Cybermobbing.

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