Dosierte Lippenbremse
1. Lippen aufeinander legen. Durch die Nase einatmen.
2. Langsam zwischen leicht geöffneten Lippen ausatmen.
Wenn wir angespannt sind, atmen wir oftmals nicht richtig und verkrampfen noch mehr. Bewusstes Atmen und bestimmte Atemtechniken können dabei helfen, auch in Stresssituationen ruhig zu bleiben. Breathwork-Expertin Kirsten Neulinger gibt Tipps für mehr Wohlbefinden im Alltag.
Unsere Atmung hält uns am Leben – und dennoch schenken wir ihr im Alltag kaum Beachtung. Dabei kann bewusstes Atmen unseren Körper und unseren Geist positiv beeinflussen. Durch „Breathwork“, also Atemarbeit, kann man lernen, wie das geht: Hinter dem Begriff steckt eine Sammlung von Atemtechniken und -praktiken, durch die man erlernte, „falsche“ Atemmuster bewusst verändert, um so das allgemeine Wohlbefinden zu steigern.
Denn leider läuft in unserem Atem-Alltag oft einiges schief. „In unserer Kultur und ihrer Schnelllebigkeit atmen wir meist zu schnell und zu flach“, erklärt Yoga- und Breathwork-Lehrerin Kirsten Neulinger. Volle Terminkalender, Stress im Job oder auch eine Überlastung im Privatleben führen dazu, dass wir bewusstes Atmen gar nicht erst zulassen.
„Wir benutzen kaum unser Zwerchfell, ziehen die Luft durch den Mund ein und atmen in die Brust statt in den Bauch,“ so Neulinger. Dadurch wird unser Körper im Vergleich zur Bauchatmung weniger gut versorgt. Das kann unter anderem Müdigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten auslösen, das Immunsystem beeinträchtigen oder muskuläre Verspannungen im Oberkörper verstärken.
Atmen wir zu flach und zu schnell – zum Beispiel, weil wir gestresst sind – versetzt das unseren Körper in erhöhte Spannung und wir werden noch gestresster. Falsches Atmen kann zudem die Anfälligkeit für Angstzustände und Panikattacken erhöhen. Der Grund: Es kommt zu einer gesteigerten Aktivierung des Sympathikus, einem Teil des vegetativen Nervensystems – und das kann Angstgefühle verstärken. Der Gegenspieler des Sympathikus, der Parasympathikus, hingegen übernimmt die Regulation in der Entspannungs- oder Erholungsphase und wird durch ruhiges Atmen aktiviert.
„Wir sind meist mehr im Sympathikus als im Parasympathikus unterwegs“, erklärt Neulinger. Beides sei wichtig für uns. Aber: „Dieses Ungleichgewicht kann unter Umständen zu körperlichen und/oder psychischen Problemen führen. Mit einer veränderten, angepassten Atmung können wir direkt auf unser Nervensystem einwirken und deutliche Veränderungen bewirken.“
Yoga-Lehrerin Kirsten Neulinger unterscheidet zwei grundsätzliche Arten von Breathwork: Atemreisen mit einer bewusst verbundenen Atmung (Conscious Connected Breathing) und funktionelle Atemtechniken (Functional Breathing).
Bei Atemreisen, die unterschiedlich aufgebaut sind – mal mit Atempausen, mal durchgängiges, bewusstes Atmen – atmet man über einen längeren Zeitraum zwischen meist 30 und 90 Minuten. Das Ziel hierbei ist, in einen tiefen Entspannungszustand und das Unterbewusstsein vorzudringen. „Das sind Techniken, die unter anderem in der Traumatherapie eingesetzt werden, aber auch bei vielen gängigen Themen und unterdrückten Emotionen sehr hilfreich sein können“, so Kirsten Neulinger.
Beim funktionellen Atmen erlernt man Atemtechniken, die für unterschiedliche Beschwerden genutzt werden können. Dazu gehören Schlafstörungen, Angstzustände oder Panikattacken. Die eine Technik als allgemeines Wundermittel existiert jedoch nicht. Kirsten Neulinger: „Atemtechniken gibt es unzählig viele. Wichtig ist zu wissen, wofür Sie Breathwork einsetzen möchten, was Ihnen wichtig ist und wobei Sie Unterstützung brauchen.“
Dann sei es unerlässlich, sich umfassend zu informieren und eine gut ausgebildete Lehrerin oder einen erfahrenen Lehrer zu suchen, um die passenden Techniken und Übungen zu finden.
„Für den Alltag und den Anfang ist es schon hilfreich, wenn Sie über den Tag immer mal wieder bewusste Atemzüge durch die Nase nehmen. Fünfmal ein und aus hintereinander. Ohne Anstrengung. Werden Sie sich Ihrer Atmung bewusst und spüren Sie, ob sich Ihr Bauch und Brustkorb heben und senken. Wenn Sie gestresst sind, dann verlängern Sie gerne Ihre Ausatmung. Zum Beispiel vier Takte über die Nase einatmen und sechs Takte über die Nase ausatmen.“
„Verbinden Sie im Alltag eine Handlung, die Sie öfter am Tag machen, mit einem oder auch mehreren bewussten Atemzügen. Zum Beispiel jedes Mal, wenn ich ein Glas Wasser in die Hand nehme, oder wenn ich aus der Haustüre gehe, oder in dem Moment wo ich das Handy in die Hand nehme, den Computer hochfahre, und so weiter.“
Laut Kirsten Neulinger geht es am Anfang darum, sich einfach mal auszuprobieren und Erfahrungen mit der eigenen Atmung zu machen. Und hat man passende Techniken gefunden, kann man diese trainieren und immer wieder anwenden – ähnlich wie im Sport.
Auch hier kann mit der richtigen Atmung die Leistung gesteigert und der Körper besser mit Sauerstoff versorgt werden. Nasenatmung liefert etwa beim Work-out oder bei Ausdauersportarten wie dem Joggen mehr Energie.
Beim Kraftsport während der Belastung aus- und bei der Entlastung einatmen. So entsteht ein Rhythmus von Atem und Bewegung, der uns länger durchhalten lässt und darüber hinaus Gefäße, Herz und Lunge entlastet.