Arbeitssucht erkennen: Symptome und Therapie

Redaktion
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Wer an "Sucht" denkt, verbindet damit meist eine Abhängigkeit von Substanzen wie Alkohol oder Nikotin. Doch was, wenn der eigene Job zum Rauschmittel wird?

Was ist ein Workaholic?

Oft nennen wir jemanden, der viel arbeitet, einen Workaholic. Doch wer ausschließlich für seine Arbeit lebt, rund um die Uhr an Arbeit denkt und nichts mehr mit Freunden und Familie unternimmt, hat eine ungesunde Beziehung zu seinem Job entwickelt: Dieser Mensch leidet an Arbeitssucht. Doch die Grenze zwischen hoher Arbeitsbereitschaft und Sucht ist vage.

Was die Diagnose einer Arbeitssucht noch schwieriger macht: Sie ist eine nichtstoffgebundene Sucht. Arbeitssucht ist im ICD-10 nicht aufgeführt, dem Internationalen Klassifikationssystem der Krankheiten, das die Weltgesundheitsorganisation WHO herausgibt und als weltweit wichtigstes medizinisches Klassifikationssystem gilt. Oft wird Arbeitssucht auch als "Störung der Impulskontrolle" neben Spielsucht, Kleptomanie und Pyromanie eingeordnet – festgeschrieben ist das allerdings nicht.

Erst bei gesundheitlichen Einschränkungen wie Magen-Darm-Beschwerden, Herz-Kreislauf-Problemen oder sogar Panikattacken mit Schweißausbrüchen wird die Frage nach dem Warum gestellt – dafür muss die Sucht jedoch auch als solche erkannt werden. Doch was sind erkennbare Symptome der Arbeitssucht?

Ursachen einer Arbeitssucht

Über die Entstehung von Arbeitssucht gibt es bislang wenige Erklärungsansätze. Es stellt sich auch die Frage, ob vor allem Personen in Führungspositionen oder Personen mit mehr Verantwortungs- und Aufgabenbereichen an einer Arbeitssucht leiden. Oftmals geht eine Arbeitssucht mit gewissen Charaktereigenschaften wie einer wettbewerbsorientierten Persönlichkeitsstruktur, einem starken Siegeswillen und Kontrollbedürfnis einher.

Menschen, die versuchen außerordentliche Arbeit abzulegen, verspüren den Antrieb, Erfolg und Anerkennung in ihrem Umfeld zu suchen. Außerdem kann ein mangelndes Selbstvertrauen eine entscheidende Rolle spielen. Gefühle der Unzulänglichkeit und Versagensängste versucht der oder die Arbeitssüchtige dann durch ein hohes Maß an Arbeit zu unterdrücken.

Eine entscheidende Ursache liegt daher in den meisten Fällen in einem leistungsorientierten Erziehungsstil der Eltern, die Zuneigung eng an erbrachte Leistungen koppeln. Doch auch das Gegenteil, wie mangelnde Zuwendung und Belohnung für Geleistetes, kann Betroffene zum Vielarbeiten veranlassen.

Der Wunsch nach materiellem Profit spielt meist eine untergeordnete Rolle. Allerdings steht eine Arbeitssucht des Öfteren mit Existenzängsten in Verbindung.

Symptome einer Arbeitssucht

Eine Person, die für ihre Arbeit brennt, öfter mal Überstunden macht und viel vom Job spricht, halten viele für einen Leistungsträger. Wer viel arbeitet, muss noch nicht unter einer Arbeitssucht leiden – es geht vielmehr darum, welche Bedeutung eine Person der Arbeit beimisst. Wer arbeitssüchtig ist, entwickelt die klassischen Merkmale einer Abhängigkeit.

  • Starkes Verlangen und Abstinenzunfähigkeit

    Gedanken und Gespräche drehen sich nur noch über Themen am Arbeitsplatz. Private Schwierigkeiten werden mit der Flucht in die Arbeit verdrängt, oft auch heimlich. Selbst an freien Tagen werden E-Mails gecheckt, Kunden angerufen oder andere Dinge erledigt.

  • Toleranzbildung

    Die Dosis muss immer weiter gesteigert werden – wie bei einer Drogenabhängigkeit entwickeln Betroffene eine steigende Toleranz. Arbeitssüchtige müssen im Laufe der Zeit immer mehr leisten, damit sie ein Gefühl der Zufriedenheit empfinden. Sie nehmen sich immer mehr vor, und müssen die Aufgaben in immer kürzerer Zeit erledigen.

  • Kontrollverlust

    Das Arbeitspensum explodiert. Arbeitssüchtige bewerten einen Tag ausschließlich an der geleisteten Arbeit, auch das eigene Selbstwertgefühl hängt davon ab, welche Ergebnisse man im Job erzielt. Ein Leben ohne Arbeit ist für Betroffene nicht mehr denkbar.

  • Rückzug und Leugnung

    Die Arbeit durchdringt den Alltag, bis sie ihn vollständig dominiert. Eine Grenze zwischen beruflichem und privatem Leben gibt es dann nicht mehr. Werden Betroffene angesprochen, reagieren sie gereizt und abwehrend. Auch Angehörige leiden darunter, immerhin verlieren sie die Person immer mehr an ihren Job. Allerdings sollten sie trotz der abwehrenden Haltung eines Arbeitssüchtigen nicht lockerlassen.

  • Entzugserscheinungen

    Wenn Arbeitssüchtige nicht arbeiten, werden sie nervös: Es kommt zu Herzrasen und Schweißausbrüchen bis hin zu Panikattacken, Magen-Darm-Beschwerden oder Herz-Kreislauf-Problemen.

Arbeitssucht erkennen

Eine Studie aus dem Jahr 2022 hat das Phänomen untersucht und Indizien gefunden, woran Arbeitgeber bei Mitarbeitenden eine Arbeitssucht erkennen können. Es ist ein Zusammenspiel aus Krankheiten, Team-Klima, Arbeitsverhalten und Einstellung zur Arbeit.

Mehr zur Arbeitssucht-Studie
  • Häufige Krankheiten und Symptome

    Herz-Kreislauf-Beschwerden, Hörstürze, Blackouts, Erschöpfung, Stimmungsschwankungen, Geschwüre, Rückenschmerzen

  • Verhalten im Team

    Ständige Kritik an Kolleginnen und Kollegen, Wutausbrüche, wechselnde Gemütslagen, Arbeitswut-Anfälle

  • Individuelles Verhalten

    Arbeiten an freien Tagen, Vernachlässigung von Familie und Freunden, zwanghaftes Verhalten, Leugnen der Sucht, Kontrollverlust des Handelns

  • Arbeitseinstellung

    Aufgaben werden nicht abgegeben, Kontrollverhalten, Perfektionismus

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Bei arbeitssüchtigen Beschäftigten leidet auch der Betrieb

Wer ständig Extra-Meilen für das Unternehmen läuft, ist irgendwann erschöpft. Und nicht nur das: Arbeitssüchtige verlieren das Gespür für effizientes Arbeiten, da sie alle Arbeit an sich ziehen. Immerhin ist ihr Selbstwertgefühl von der eigenen Arbeit abhängig – Kooperation hat dabei keinen Platz.

Arbeitssüchtige stehen unter immensem Zeitdruck und haben gleichzeitig einen hohen Anspruch an ihre Ergebnisse. Sie neigen dazu, sich zu verzetteln und können auch Aufgaben vor sich herschieben. Denn sie entwickeln eine Furcht vor der Arbeit, da sie Angst haben, nicht gut genug zu sein. Die Folge: Deadlines werden nicht eingehalten oder keine Entscheidungen getroffen, da das Ergebnis immer noch besser sein könnte.

Darunter leidet auch das Team, wenn es aus Sicht des Süchtigen zu wenig arbeitet beziehungsweise nicht rund um die Uhr erreichbar ist. Der Druck, unter dem Betroffene stehen, führt also nicht nur zu Fehlentscheidungen der Erkrankten, auch die Teammitglieder werden von arbeitssüchtigen Beschäftigten unter Druck gesetzt. Es kommt zu Fehlern, Unzufriedenheit und dem Wunsch, versetzt zu werden – oder zu Kündigungen.

Was Führungskräfte tun können

Da arbeitssüchtige Beschäftigte einen großen Einfluss auf die betrieblichen Abläufe haben, sind insbesondere Führungskräfte in der Verantwortung. Betroffene verspüren ebenso die Angst, die Erwartungen des oder der Vorgesetzten nicht erfüllen zu können.

Die Wurzeln der Arbeitssucht liegen nicht nur in der Erziehung der Eltern. Weitere Faktoren können ebenso das Verhalten verstärken – wenn etwa private Probleme  wie eine Scheidung oder der Tod eines geliebten Menschen zur Flucht in die Arbeit führen. Am Arbeitsplatz selbst befeuern unter Umständen immer mehr Aufgaben bei gleichbleibender Zeit, Unterbesetzung, Überstunden und die Angst vor Arbeitsplatzverlust den Weg in die Sucht.

Das Risiko ist entsprechend höher, je direkter der wirtschaftliche Druck an den einzelnen Mitarbeiter weitergegeben wird und je freier die betrieblichen Bedingungen gestaltet sind. Denn gerade in Unternehmen mit flexiblen Arbeitszeiten verspüren gefährdete Mitarbeiter oft die Notwendigkeit, über das vorgeschriebene Pensum hinaus zu arbeiten. Deshalb sind hier Führungskräfte gefragt, diese ungesunde Arbeitseinstellung bei ihren Mitarbeitern zu erkennen und ihnen unnötigen Druck zu nehmen.

Arbeitssucht bekämpfen: Maßnahmen für Arbeitgeber

Was braucht es also? Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sollten analysieren, ob das Verhalten eines Mitarbeiters auf eine Arbeitssucht hindeutet. Sie sollten die betrieblichen Rahmenbedingungen analysieren und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befragen. Auch klassische Instrumente wie eine Gefährdungsbeurteilung, die auch psychische Risiken miteinbezieht, kann hilfreich sein.

Arbeitssüchtige sollten bei Auffälligkeiten angesprochen werden, zudem braucht es einen Plan, wie damit umzugehen ist. Hierbei können Sie sich beraten lassen – zum Beispiel, wie sich mögliche Maßnahmenpakete in ein Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) integrieren lassen.

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Individuelle Therapie von Arbeitssucht

Der erste Schritt: Betroffene müssen ihre Arbeitssucht erkennen und akzeptieren, dass sie Hilfe brauchen. Gerade das fällt jedoch den meisten schwer, da sie ihre Sucht oft vor sich selbst leugnen. Deshalb ist es wichtig, dass Bezugspersonen im (Arbeits-)Umfeld Betroffene auf ihr Verhalten ansprechen. Das offene Gespräch kann helfen: ob mit Familie oder Freunden, Therapeuten oder Selbsthilfegruppen. Da es bei der Arbeitssucht schlichtweg nicht möglich ist, das Suchtmittel einfach abzusetzen, müssen Betroffene Strategien entwickeln, ein gesundes Verhältnis zu ihrer Arbeit aufzubauen. 

Bislang gibt es keine bestimmte Behandlungsmethode für Arbeitssucht. Die kognitive Verhaltenstherapie gilt aber als gut erforschte Methode, gegen den inneren Zwang zu arbeiten. Betoffene einer Arbeitssucht können so lernen, ihr Verhalten neu zu bewerten, Denkmuster zu hinterfragen und realistische Ansprüche an sich selbst stellen. 

Dem Problem nimmt sich unter anderem auch der Verein für Anonyme Arbeitssüchtige (AAS) an. Aktuell (Stand: März 2023) gibt es digitale oder in Präsenz stattfindende Meetings in 15 deutschen Städten. Die erste Selbsthilfegruppe wurde im Jahr 1983 unter dem Namen "Worcaholics Anonymous" in New York gegründet.

Nicht nur der Name nimmt Bezug auf die "Anonymen Alkoholiker", auch ihr 12-Punkte-Plan orientiert sich am Konzept der bekannten Selbsthilfegruppe.

Tipps gegen Arbeitssucht

Eine Arbeitssucht lässt sich ebenso erfolgreich vorbeugen oder bei ersten Anzeichen noch abwenden. Eine Garantie die Sucht loszuwerden oder nicht zu bekommen, ist nicht gegeben. Allenfalls hilft eine psychotherapeutische Verhaltenstherapie.

  • Work-Life-Balance beachten

    Achten Sie auf eine ausgewogene Balance zwischen Arbeit und Privatleben, indem Sie beiden Lebensräumen gleichwertigen Raum im Alltag geben. Vergesslichkeit und Verwirrung könnten erste Anzeichen für ein Ungleichgewicht sein.

  • Zeitlimit einhalten

    Für Produktivität braucht es Zeit, Konzentration und Energie. Setzen Sie sich daher für Aufgaben und Projekte ein Zeitlimit, um eigene Grenzen zu setzen und die Arbeit nicht auszudehnen. Achten Sie darauf, die gewonnene Zeit nicht wieder mit Arbeit zu füllen, sondern die freien Stunden für sich selbst zu nutzen.

  • Gutes Verhältnis zu Arbeitskollegen aufbauen

    Auch ein gutes Verhältnis zu Ihren Kolleginnen und Kollegen kann Ihre Arbeitsleistung erheblich verbessern, während eine angespannte Atmosphäre für psychische Belastungen sorgt. Sofern es Probleme geben sollte, sprechen Sie diese an und zeigen Sie sich offen für Kritik.

  • Sport und viel Bewegung

    Körperliche Betätigung wie Sport oder Bewegung hilft Ihnen, auf andere Gedanken zu kommen und das Selbstbewusstsein zu stärken. Sport setzt Endorphine frei und hilft Stress abzubauen. Eine vollwertige und ausgewogene Ernährung kann die Verarbeitung von Stress ebenfalls unterstützen.

  • Smartphone-Konsum eindämmen

    Wenn Sie permanent erreichbar sind, schadet dies Ihrer Gesundheit. Außerdem stellt das Smartphone immer eine Ablenkung dar. Die Zeit, die Sie mit dem Handy verbringen, fehlt Ihnen anschließend in anderen Bereichen. Geben Sie daher dem Handy nicht zu viel Raum in Ihrem Alltag.

  • Entspannungstechniken erlernen und anwenden

    Wenn Sie Probleme beim Abschalten haben, sind Entspannungstechniken sinnvoll, um zur Ruhe zu kommen. Das können sowohl autogenes Training, als auch Atemübungen oder Meditation sein.

Hier finden Angehörige Unterstützung:

Gruppen für Angehörige von Süchtigen gibt es bei den Anonymen Arbeitssüchtigen derzeit nicht, es gibt aber Alternativen:

  • Nar-Anon Familiengruppe ("Narcotics Anonymous")

    Für Freunde und Familienmitglieder von Süchtigen.

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  • CoDA (Co-Dependents Anonymous)

    Hier erhalten Menschen mit einer Co-Abhängigkeit Rat; also Menschen, deren Sucht darin besteht, von anderen wertgeschätzt und gebraucht zu werden. Im weiteren Sinn geht es allgemein um gesunde Beziehungen, auch im Umgang mit Süchtigen.

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  • EA ("Emotions Anonymous")

    An diese Selbsthilfegruppen können sich Personen wenden, um ihre emotionale und seelische Gesundheit zu verbessern.

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  • Al-Anon ("Alcoholics Anonymous Family Groups")

    Für Angehörige von Alkoholikern, allerdings können auch Personen, die durch die Arbeitssucht eines Nahestehenden belastet werden, bei den Gruppen aufgenommen werden.

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IKK classic

Veröffentlicht am 21.09.2020

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