Raus aus dem People Pleasing: So lernen Sie, Nein zu sagen

Redaktion
IKK classic

Gehören Sie auch zu den Menschen, die es immer allen recht machen wollen? Koste es, was es wolle? Hilfsbereit zu sein, ist wunderbar, aber ständig für andere über die eigenen Grenzen zu gehen, kann sogar krank machen. Zwei Expertinnen zeigen Wege aus der People Pleasing-Falle.

„Sie teilen sich schon wieder das Hotel-Zimmer mit ihrer Freundin, obwohl Sie wissen, dass Sie dann kein Auge zu tun werden? Einfach, weil Sie denken, Sie hätten keine andere Wahl. Oder übernehmen Sie erneut diese nervige Aufgabe bei der Arbeit, um die Sie die nette Kollegin bittet, nur um nicht negativ aufzufallen? Das sind Beispiele für People Pleasing,“ erklärt Ulrike Bossmann, promovierte Psychologin und Systemische Therapeutin.

Ihr Buch aus dem Jahr 2023 „People Pleasing – Raus aus der Harmoniefalle und weg mit dem schlechten Gewissen“ ist ein „Spiegel“-Bestseller. Darin gibt sie Einsichten, wie man People Pleasing selbst erkennt und bestenfalls langfristig überwindet.

Oder sind Sie schon zu tief im People Pleasing gefangen? Am Alexius/Josef Krankenhaus in Neuss trifft die Psychologische Psychotherapeutin Lina-Kristin Wiegmann auf Patientinnen und Patienten, die bereits an ihre persönlichen Grenzen gestoßen sind und medizinische Hilfe benötigen, um aus der People Pleasing-Falle herauszukommen. Sie teilt mit uns ihre Erfahrungen aus der Therapie mit Betroffenen.

Definition: Was sind People Pleaser?

„Aus dem Englischen übersetzt heißt das wörtlich ‚jemandem gefallen wollen‘ oder ‚zufrieden stellen‘,“ sagt Bossmann. „People Pleaser sind Menschen, die andere nicht verärgern, verstimmen oder enttäuschen wollen. Sie stellen das Wohlbefinden anderer immer über ihr eigenes.“

Der Leidensdruck ist häufig groß: People Pleaser können einfach nicht aus ihrer Haut heraus und für sich oder ihre Interessen einstehen. Sie beschäftigen sich viel mit der Frage, wie andere sie wahrnehmen. "People Pleaser sind keine manipulativen Charaktere", sagt Bossmann. „Es sind Menschen mit sehr feinen Antennen für die Gefühle und Nöte anderer. Sie sind bescheiden, empathisch und können gut Kompromisse eingehen. Diese Eigenschaften sind für unsere Gesellschaft sehr positiv.“ Nur deren Übertreibung sei es, die negative Konsequenzen für Betroffene habe.

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Welche Menschen sind von People Pleasing besonders betroffen?

„Frauen sind aufgrund gesellschaftlicher Erwartungen tendenziell etwas häufiger von People Pleasing betroffen,“ sagt die Psychologische Psychotherapeutin Lina-Kristin Wiegmann. „Gesellschaftlich ist es akzeptierter, wenn Männer ihre Meinung klar vertreten. Frauen wird eher die fürsorgliche, kümmernde Rolle zugeschrieben.“

Dennoch: People Pleasing kann Menschen jeden Geschlechts betreffen. Es hängt auch von ihren persönlichen Erfahrungen und Prägungen ab. Amerikanische Forschungsergebnisse von YouGov aus dem Jahr 2022 zeigen: Von 1.000 Befragten bezeichnen sich fast die Hälfte (49 Prozent) als People Pleaser. Auch hier lag die Quote bei Frauen mit 56 Prozent deutlich höher als bei Männern (42 Prozent).

Fast alle der Befragten (92 Prozent) stellen People Pleasing-Verhaltensmuster bei sich fest. Zwei Drittel unternehmen große Anstrengungen, um Konflikte zu vermeiden oder stellen das Interesse anderer über ihre eigenen. „Ein People Pleaser zu sein, macht mein Leben schwer“ – das sagt die Hälfte der befragten Frauen und ein Viertel der befragten Männer.

Warnsignale: Wann zu viel Rücksicht gefährlich wird

Ein grundsätzliches Harmoniebedürfnis ist durchaus positiv. Es kann das Miteinander erleichtern und verbessern. Doch es gibt auch Grenzen: Nämlich dann, wenn unsere Bedürfnisse ständig zu kurz kommen und wir Stress und Druck empfinden, um anderen gefallen zu müssen.

„Das kann so stark ausarten, dass People Pleaser in medizinischen Not-Situationen keine adäquate Versorgung erhalten. Eben, weil sie niemandem Umstände bereiten wollen,“ sagt Bossmann. „Zum Beispiel, wenn ein People Pleaser keinen Krankenwagen ruft, obwohl er oder sie ernsthafte Symptome verspürt, im Extremfall einen Herzinfarkt oder Schlaganfall hat. Das sind beinharte gesundheitliche Konsequenzen.“

Neben Burn-out, Depressionen oder Angsterkrankungen zählen auch stressbedingte Folgeerkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu den potenziellen Risiken des People Pleasing.

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Auswirkungen von People Pleasing auf die persönliche Entwicklung

„People Pleaser zeigen oft nur eine gefällige Seite von sich,“ beschreibt Wiegmann. „Dadurch fehlt echte Authentizität. Beziehungen können oberflächlich bleiben, da andere die vielschichtige Persönlichkeit nicht kennenlernen.“ 

Langfristig leide der Selbstwert, da man zwar positive Rückmeldungen für die eigene Hilfsbereitschaft oder Aufopferung erhalte, jedoch nicht für das, was einen als Person wirklich ausmache.

Das heißt: People Pleaser trauen sich einfach nicht, sich so zu zeigen, wie sie wirklich sind. Sie haben Angst vor Ablehnung oder Kritik. Oftmals stecken Erfahrungen, die bereits in der Kindheit oder Jugend gemacht wurden, dahinter.

Was sind die Ursachen für People Pleasing?

Es gibt nicht den einen Faktor, der einen Menschen zum People Pleaser macht. In der Regel vermischen sich genetische bzw. neurobiologische Veranlagungen und biografische Erfahrungen mit Rollenanforderungen und gesellschaftlichen Entwicklungen, erklärt Bossmann. Man kann allerdings sagen: People Pleaser wollen in erster Linie das psychologische Grundbedürfnis nach Verbundenheit sicherstellen. Zudem investieren sie viel Zeit und Energie in den Selbstwertschutz.

Drei zentrale Ursachen lassen sich laut beiden Expertinnen in der Praxis häufig beobachten:

  • 1. Parentifizierung:

    Wenn Kinder Verantwortung für ihre Eltern übernehmen müssen und
    lernen, dass Anerkennung nur durch Anpassung und Fürsorge möglich ist. Das prägt Glaubenssätze wie: „Ich werde nur anerkannt, wenn ich mich um andere kümmere.“ Oder: „Ich bin nur liebenswert, wenn ich mich den Wünschen anderer unterwerfe." Dieses Muster bleibt oft bis ins Erwachsenenalter bestehen.

  • 2. Modelllernen:

    Bezugspersonen, die dauerhaft eigene Bedürfnisse denen von anderen unterordnen und sich übermäßig freundlich und angepasst verhalten, vermitteln Kindern unbewusst, dass dies der richtige Weg ist.

  • 3. Abwertungserfahrungen:

    Wiederholte negative Reaktionen auf kindliche Impulse oder auf das Kind als solches können dazu führen, dass Kinder lernen, ihre Bedürfnisse zu unterdrücken, um die Bindung zu den Bezugspersonen nicht zu gefährden.

Selbsttest: Neigen Sie zu People Pleasing?

Der wichtigste Punkt ist laut Bossmann: „Wenn Sie permanent ein schlechtes Gewissen haben und Situationen in Ihrem Kopf immer wieder analysieren. Wenn Sie sich fragen: Habe ich das richtig gemacht? Das ist ein sicheres Zeichen, mal genauer hinzuschauen.“

Um herauszufinden, ob Sie ein People Pleaser sind, empfiehlt die Expertin folgende Checkliste:

  • Ich kann nicht gut Nein sagen.

  • Ich fühle mich für die Gefühle anderer verantwortlich.

  • Ich entschuldige mich oft, auch wenn es nicht notwendig wäre.

  • Ich rechtfertige mein Handeln und meine Entscheidungen.

  • Ich höre dem Kummer anderer zu, auch wenn ich keine Zeit habe.

  • Ich lasse mich leicht beeinflussen und umstimmen.

  • Ich gebe vor, mit anderen einer Meinung zu sein, auch, wenn ich es nicht bin.

  • Ich äußere kaum Kritik.

  • Ich vermeide Konflikte und Auseinandersetzungen.

  • Ich gebe schnell nach.

  • Ich suche den Fehler immer zuerst bei mir.

  • Ich lächle und scherze, auch wenn mir nicht danach ist.

  • Ich vergleiche mich oft.

  • Ich spreche eigene Wünsche selten an.

  • Ich bitte andere selten um Hilfe.

  • Ich treffe ungern eigenständig Entscheidungen.

Wenn viele dieser Punkte auf Sie zutreffen, dann sollten Sie überlegen, sich mit Ihrem People Pleasing auseinanderzusetzen und gegebenenfalls Hilfe in Anspruch nehmen.

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Welche Unterstützungsmöglichkeiten und Hilfestellungen gibt es?

People Pleasing ist keine psychologische Erkrankung. Deshalb braucht es laut Bossmann – wie auch bei der Rauchentwöhnung oder der Reduktion von Übergewicht – nicht zwangsweise eine Therapie.

Im ersten Schritt sollten sich die Betroffenen ihrer Glaubenssätze bewusstwerden und diese hinterfragen, raten beide Expertinnen. Es hilft, kleine Schritte zu machen, indem man sukzessive eigene Bedürfnisse äußert und neue Verhaltensweisen ausprobiert. So entstehen korrigierende Lernerfahrungen. Aus diesen können neue Denk- und Handlungsmuster wachsen.

In Alltagsituationen kann es zum Beispiel helfen, Zeit zu gewinnen. Entscheidungen müssen nicht immer unmittelbar getroffen werden. Sie können sich dafür Zeit lassen, um zu überlegen und sie bewusst treffen. Ein hilfreicher Satz kann sein: „Danke, dass du mich fragst. Ich möchte kurz darüber nachdenken und gebe dir später Bescheid.“ 

Äußert sich das People Pleasing in Form seelischer oder körperlicher Symptome, sollte professionelle Unterstützung in Anspruch genommen werden. „Eine Psychotherapie kann dabei helfen, tief verwurzelte Verhaltensmuster zu erkennen und schrittweise zu verändern“, sagt Wiegmann.

Kleine, gezielte Verhaltensänderungen können viel bewirken. „Es ist wichtig, sich selbst im Veränderungsprozess zu ermutigen, sich mit Mitgefühl zu begleiten und die eigenen Fortschritte bewusst anzuerkennen,“ sagt Wiegmann. Auch der Austausch mit vertrauten Personen kann helfen.

Was passiert mit People Pleasern, die lernen, Grenzen zu setzen?

„Es ist beeindruckend zu sehen, wie positiv das Umfeld eines People Pleasers oft auf das Setzen von Grenzen reagiert. Nämlich viel besser, als man es vielleicht erwartet hätte,“ sagt Wiegmann. „Kollegen und Freunde schätzen es, wenn endlich klare Standpunkte vertreten werden. Beziehungen werden entspannter, weil authentische und offene Kommunikation Vertrauen schafft. Häufig beobachte ich, dass körperliche Stresssymptome schnell abklingen und ein beschwerdefreies Leben – zum Beispiel ohne ständige Magenbeschwerden – endlich möglich wird.“

"Sich so zu zeigen, wie man wirklich ist und dafür Anerkennung und Wertschätzung zu erfahren, bringt eine große Portion Zufriedenheit mit sich", ergänzt sie. „Es fühlt sich an, als würde mit jeder korrigierenden Erfahrung (‚Ich teile meine Wünsche, Gefühle und Ansichten und sie werden akzeptiert‘) Stück für Stück eine schwere Last von den Schultern genommen.“ Und das kann sehr befreiend sein.

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Veröffentlicht am 07.02.2025

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