Illustration: Kalender, Ordner und Uhren abgebildet

Prokrastination: Wie man Aufschieberitis überwindet

Morgen, morgen, nur nicht heute ... Nahezu jeder Mensch neigt ab und an dazu, sich vor unangenehmen Aufgaben zu drücken. Doch die Aufschieberitis, auch Prokrastination genannt, kann gefährliche Ausmaße annehmen. Erfahren Sie hier mehr über die Ursachen, welche Tricks helfen und ab wann sich Betroffene Hilfe suchen sollten.

Schulaufgaben kurz vor dem Unterricht erledigen. Die Masterarbeit in letzter Minute fertigstellen. Die Steuererklärung bleibt bis zur Abgabefrist liegen – oder sogar darüber hinaus. Fast jeder Mensch in jeder Altersgruppe verschiebt unliebsame Tätigkeiten gerne auf morgen. Laut der Uni Münster gaben in einer Studie nur zwei Prozent der Befragten an, niemals etwas hinauszuzögern.

Aufschieben ist menschlich, wird aber dann zum Problem, wenn es den Alltag massiv beeinträchtigt: wenn das Studium nicht abgeschlossen wird, Rechnungen unbezahlt bleiben oder sogar die Arbeitsstelle in Gefahr gerät. Der psychische Druck, der beim permanenten Hinauszögern entsteht, ist nicht zu unterschätzen. Betroffene fühlen oftmals Scham, Schuld und Erschöpfung. Es kann sogar zu einer Depression kommen und auch körperliche Leiden können die Folge sein.

Was ist Prokrastination?

Der etwas sperrige Begriff Prokrastination kommt aus dem Lateinischen. „Procastinare“ bedeutet „aufschieben“ oder „auf morgen verlegen“. „Unter Prokrastination – also Aufschiebeverhalten in einem pathologischen Ausmaß – verstehen wir das wiederholte unnötige Aufschieben notwendiger oder wichtiger Tätigkeiten, das in den letzten sechs Monaten an mindestens der Hälfte der Tage vorgekommen ist, obwohl eigentlich Zeit für deren Erledigung zur Verfügung gestanden hätte“, erklärt Stephan Förster, Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut (VT), Supervisor und Koordinator der Prokrastinationsambulanz der Universität Münster.

In der Münsteraner Prokrastinationsambulanz können Studierende und Angehörige der Uni, die ein gravierendes Problem mit der Selbststeuerung haben, Hilfe in Anspruch nehmen. Rund zehn Prozent der Bevölkerung sind von Prokrastination betroffen – das schätzen die Experten in Münster. Darüber hinaus zeigt eine Studie der Universitätsmedizin Mainz mit etwa 2.500 Probanden aus verschiedenen Altersklassen: Zum Aufschieben neigen vor allem junge Menschen, die noch zur Schule gehen oder studieren, und es sind mehr Männer als Frauen. Von ständigem Aufschieben im Alltag ohne schwerwiegende gesundheitliche Folgen sind sogar etwa 20 Prozent der Bevölkerung, also jeder Fünfte, betroffen.

Präkrastination als Gegenteil zur Prokrastination

Wenn permanentes Aufschieben stresst, ist dann das sofortige Abarbeiten von Aufgaben eine bessere Lösung? Nicht unbedingt. Denn wer über die Maßen motiviert und produktiv ist, kann in die Präkrastination rutschen. Hier überwiegt der Drang, immer alles im nächsten Moment erledigen zu müssen. Betroffene unterscheiden dabei nicht, welche der Tätigkeiten Priorität haben, und zeigen einen kopflosen Aktionismus.

Da im Leben die Fülle an Aufgaben nie endet, arbeiten Menschen, die von Präkrastination betroffen sind, immer schneller und mehr. Sie haben kaum noch Freizeit und vernachlässigen oftmals Freunde und Familie. Burn-out und Depression können die Folgen sein. Somit ist das genaue Gegenteil von Prokrastination ebenfalls nicht erstrebenswert.

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Die psychologischen Gründe hinter dem Aufschiebeverhalten

Es macht unzufrieden und im schlimmsten Fall sogar krank – warum verschieben trotzdem so viele Menschen unangenehme Dinge? Prokrastination kommt beispielsweise dann vor, wenn die zu erledigende Tätigkeit zu umfangreich ist. Oder es wurde nicht deutlich genug erklärt, worin die genaue Aufgabe besteht. Auch das Fehlen von Abgabefristen kann zur Verzögerung führen. Manche Betroffene haben einen hohen Anspruch an sich selbst, sie stecken die eigene Leistung zu hoch, schätzen die Zeit, die sie brauchen falsch ein, oder setzen sich unrealistische Ziele.

„Die Ursachen für Prokrastination sind derart vielfältig, dass sich jeweils eine individuelle Problemanalyse empfiehlt, um zu schauen, welche Faktoren im Einzelfall zur Prokrastination führten. Wir gehen in der Verhaltenstherapie am ehesten von einem gelernten Mangel an Selbststeuerung aus. Oftmals beobachtet werden fehlende Strategien zur Selbstorganisation, emotionale Auslöser wie Versagensängste, aber auch bestimmte situationale Faktoren, wie Unklarheit von Aufgabenstellung oder wenig strukturierte Aufgaben, begünstigen Prokrastination. Nicht zuletzt können es bestimmte Persönlichkeitseigenschaften wie z. B. rigider Perfektionismus sein, die eine Rolle bei der Entstehung spielen“, erklärt Stephan Förster.

Außerdem, so der Psychologe, ist es wichtig, dass bei Symptomen, die auf Prokrastination schließen lassen, immer auch das Vorliegen einer anderen psychischen Erkrankung als Ursache abgeklärt werden muss.

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Typische Symptome der Prokrastination:

  • Menschen, die prokrastinieren, neigen zu Ersatzhandlungen, wie etwa das Putzen der Wohnung. Denn hier ist ein schneller Erfolg zu sehen.

  • Die eigentlich zu erledigenden Aufgaben lösen Abneigung und Widerwillen aus.

  • Bei vielen Betroffenen werden Vorhaben aufgrund des Aufschiebens nur unter großem Zeitdruck fertig gestellt und es kommt häufig auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Leistungspotenzials.

  • Betroffene können als Folge des Aufschiebens unter körperlichen Beschwerden – wie Muskelverspannungen, Schlafstörungen, Herz- und Kreislaufproblemen, Magen- und Verdauungsproblemen – leiden.

  • Psychische Auffälligkeiten – wie innere Unruhe, Anspannung, Druckgefühl, Angst oder Hilflosigkeit – können mit der Aufschieberitis einhergehen.

  • „Betroffene können überwiegend nicht mehr das tun, was sie eigentlich tun wollen, und leiden häufig auch unter Selbstabwertung", fasst Experte Stefan Förster zusammen.

  • Prokrastination kann zudem zu ernsthaften beruflichen und persönlichen Konsequenzen führen.

Prokrastination überwinden: Praktische Tipps gegen das Aufschieben

Die gute Nachricht: Da Prokrastination ein grundsätzlich erlerntes Verhalten ist, lässt sich dieses auch wieder „verlernen“ und durch ein Verhalten ersetzen, welches weniger negative Konsequenzen mit sich bringt und besser mit eigenen Zielen und dem nachhaltigen Wohlbefinden zusammenpasst.

„Das innere Muster muss über Selbstbeobachtung erkannt und dann gegen neue Strategien ersetzt werden, die den Beginn und das Durchhalten der Arbeit an dem aufgeschobenen Projekt erleichtern. Das braucht aber immer Übung – egal, ob es um Veränderung von Verhalten oder Gedanken oder einen Umgang mit negativen Gefühlen geht“, sagt Stephan Förster.

 

Diese Tipps können beim Umlernen helfen:

  • Wählen Sie eine konkrete Tätigkeit aus, die Sie immer wieder aufschieben.

  • Beobachten Sie über mehrere Tage, wann Sie der Aufgabe aus dem Weg gehen und wann Sie am ehesten bereit sind, sich damit zu befassen.

  • Teilen Sie die Aufgabe in möglichst kleine Teilabschnitte auf.

  • Legen Sie für jeden Tag eine genaue Uhrzeit, die genaue Dauer und den Ort fest, an dem Sie den nächsten Schritt machen.

  • Vermeiden Sie Ablenkungsquellen, indem Sie beispielweise Ihr Handy in der Zeit auf Flugmodus stellen.

  • Nehmen Sie sich nicht zu viel vor.

  • Arbeiten Sie mit Erinnerungshilfen, damit Sie die Aufgabe nicht verdrängen.

  • Werten Sie hinterher aus, wo und warum Sie Schwierigkeiten hatten und was gut gelaufen ist.

  • Gönnen Sie sich für jeden kleinen Erfolg eine Belohnung.

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Professionelle Hilfe bei Prokrastination finden

„Menschen, die stark unter Prokrastination leiden, sollten sich im besten Fall professionelle Unterstützung suchen: ob durch eine Beratungsstelle, durch psychologische oder psychotherapeutische Hilfe“, empfiehlt Stephan Förster.

Die Universität Münster bietet einen Selbsttest für Prokrastination an: Dieser dient als erste Einschätzung, wie stark das Verhalten ausgeprägt ist und ob es behandelt werden sollte. Häufig tritt das Prokrastinieren zusammen mit einer Depression auf, es kann aber auch die Begleiterscheinung einer Angststörung, von ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-/Hyperaktivitäts-Störung) oder einer Psychose sein. In diesen Fällen sollte eine Psychotherapie, idealerweise eine kognitive Verhaltenstherapie, als Behandlung erfolgen.

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